Eine skandalöse Braut
geküsst habe, kann ich nicht mit wenigen Worten erklären. Ich gebe zu, gelegentlich handle ich recht impulsiv. Schöne Frauen scheinen solche Impulse noch zu befeuern.«
»Das habe ich schon gehört.«
»Glaubt nicht alles, was Ihr hört, Mylady.« Seine Wimpern senkten sich leicht über diese teuflisch dunklen Augen.
Oh ja, er war ein sehr schöner junger Mann. Wenn er ihr nicht gegenübergestanden hätte, hätte sie jetzt ihren Fächer aufschnappen lassen und sich heftig frische Luft zugefächelt, um ihr gerötetes Gesicht zu kühlen. Sie riss sich zusammen und machte das ernste Gesicht einer Anstandsdame. »Solange Ihr Euch kein zweites Mal Amelia gegenüber dermaßen ruchlose Freiheiten herausnehmt, werde ich meinem Schwager nichts hiervon erzählen.«
»Ich rate Euch, zu seinem Wohl gar nichts zu erzählen«, sagte er gleichmütig. Seine Miene wirkte ausdruckslos. »Ich bin vielleicht kein Held, Mylady, aber ich bin ein ausgezeichneter Schütze. Nur für den Fall, dass er denkt, er könne den erzürnten Vater spielen und mich zum Duell fordern. Da das nun geklärt ist: Darf ich Euch zum hinteren Tor geleiten?«
7
Auch wenn es sie schmerzte, es zuzugeben, war die Arie, die mit einer bemerkenswert klaren, dunklen Altstimme vorgetragen wurde, einfach herausragend. Amelia saß auf ihrem Stuhl in der privaten Loge ihres Vaters. Ihr Blick war auf die Bühne gerichtet. Sie versuchte, die tieftraurigen Gedanken zu vertreiben, die ihr durch den Kopf gingen.
Sie hat unter ihm gelegen, nackt und willig. Er hat sie genauso geküsst, wie er mich geküsst hat. Hat sie an intimen Stellen berührt, und dann haben sie …
Sie war nicht ganz sicher, was sie danach getan hatten, und das machte sie noch wütender als die Vorstellung, wie Alex St. James die Frau liebte, die gerade sang. Da niemand ihr bisher erklärt hatte, was genau zwischen Männern und Frauen im Bett passierte, hatte Amelia nur eine ungefähre Ahnung davon. Aber sie wusste eines: Wenn es nur halb so lustvoll war wie ein intimer Kuss, dann war sie eifersüchtig auf die Frau, die auf der Bühne stand. Das war ein absurder Gedanke, aber … Sie hatte diesen Gedanken.
Wenn es stimmte, was man sich erzählte, war Maria Greco seine Mätresse.
Wie kann er es wagen, mich zu küssen, überlegte Amelia düster. Wie kann er so etwas tun, solange er mit einer anderen Frau in eine länger währende Affäre verstrickt ist?
Zu ihrem Kummer konnten die Sängerin und sie kaum unterschiedlicher sein. Die Opernsängerin, die das Publikum mit ihrer Darbietung in ihren Bann zog, hatte üppige Rundungen, rabenschwarzes Haar und eine olivfarbene Haut. Sie war in ein aufwendiges Kostüm gekleidet und schritt über die Bühne, während sie freizügig ihre Schönheit und ihr Talent präsentierte. Ihre Bewegungen waren dramatisch und selbstbewusst. Das Publikum war von ihr verzaubert.
Und der Liebhaber der Diva? War er heute auch zugegen? Amelia suchte unablässig das Publikum nach dem vertrauten Kopf mit dem dunklen, schimmernden Haar und dem großen, kräftigen Körper ab. Aber sie fand ihn nicht.
Erst als ihr Vater sie in der Pause allein ließ, um für alle Champagner zu holen, lehnte Tante Sophia sich zu ihr herüber und sagte leise: »Ich hoffe, dein Schweigen und das eifrige Absuchen der Menschenmenge bedeutet nicht, dass du nach St. James Ausschau hältst.«
Da sie genau das tat, schrak Amelia schuldbewusst zusammen. Während ihrer Heimfahrt am letzten Abend hatte sie völlig durchnässt und stumm in der Kutsche gesessen und die Vorhaltungen ihrer Tante über sich ergehen lassen. Sie sprach über junge Damen, die die Gesellschaft gewisser Gentlemen besser mieden. Es war Amelia gelungen, geschickt der Frage auszuweichen, wie sie Alex erstmals begegnet war, ohne Tante Sophia eine offenkundige Lüge aufzutischen. Sie hatte einfach behauptet, sie wären einander vor dem Stadthaus ihres Vaters in die Arme gelaufen. Da der Balkon vor ihrem Schlafzimmer genau genommen direkt vor dem Haus war, hatte sie, wenn man es wörtlich nahm, nicht die Unwahrheit gesagt.
»Ich habe mich nur gefragt, ob er hier ist«, gab sie ehrlich zu und strich über den Seidenrock ihres cremefarbenen Abendkleids. Sie wies absichtlich beiläufig auf die Bühne, wo Maria soeben in einem Wirbel aus scharlachroter Seide verschwunden war. »Ich meine, schließlich erzählt man sich, sie sei seine neueste Geliebte.«
Tante Sophia runzelte die Stirn, die Brauen zogen sich unheilvoll zusammen. »Du
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