Eine skandalöse Lady: Roman (German Edition)
übertriebenen Ängstlichkeit erfahren. Obwohl es dem Ruf keiner jungen Lady zuträglich war, mit einem Gentleman in einem zugesperrten Raum entdeckt zu werden, ging ihm ihre Bemerkung nicht aus dem Kopf, die Gesellschaft halte sie nicht für so unschuldig, wie er glaubte. Und zu guter Letzt verwunderte es ihn, dass ein solch bezauberndes Mädchen aus erstklassiger Familie nicht schon längst unter der Haube war. Dafür musste es doch einen Grund geben, und den wollte er herausfinden.
Warum? Weil ihm diese junge Frau nicht mehr aus dem Kopf ging. Dieses Bild, wie sie im dünnen, spitzenbesetzten Leinenunterkleid vor ihm stand, die Arme nackt, die Rundung ihrer Brüste ebenso sichtbar wie die schlanken Fesseln … Er hatte sich größte Mühe gegeben, an etwas anderes zu denken, um nicht prompt mit einer Erektion zu reagieren. Trotzdem konnte er nicht aufhören, an diesen knapp bekleideten, verlockenden weiblichen Körper zu denken, dessen Proportionen ganz nach seinem Geschmack waren. Nicht zu üppig, aber wohlgerundet und anmutig.
Noch faszinierender allerdings als ihre unbestreitbare körperliche Attraktivität fand er ihren Mut und ihre Klugheit. Beides bewunderte er sehr, zumal es nicht gerade Eigenschaften waren, die bei einer Lady der Oberschicht als unbedingt wünschenswert galten. Er sah das anders: Hohlköpfige Weiber langweilten ihn, egal wie hübsch sie sein mochten.
»Die Familie des Earl of Augustine?« Colton runzelte die Stirn. »Du meinst den Amerikaner? Ich kenne ihn eigentlich nur flüchtig. Er hat erst kürzlich Eddingtons Tochter geheiratet.«
»Das hat seine Schwester erwähnt.«
»Von welcher Schwester sprichst du? Soweit ich weiß, hat er drei.«
»Von Lady Lillian.« Damien gab sich große Mühe, neutral zu klingen. »Wir sind uns gestern Abend begegnet.«
»Ach?« Colton hob leicht die Brauen.
»Auf Pondsworths ziemlich ödem Fest. Wenigstens ist sie in der Lage, ein vernünftiges Gespräch zu führen, was schon an ihrem Alter liegen mag. Eine Debütantin scheint sie nicht mehr zu sein, oder?«
Sein Bruder überlegte kurz. »Ich versuche mich zu erinnern. Da ist irgendetwas passiert … Ich erinnere mich deshalb daran, weil sie und Brianna zur selben Zeit debütierten. Ich glaube, Augustines Schwester ist mit Viscount Sebring durchgebrannt – wie sich dann herausstellte, hatte er nicht einmal vor, sie zu heiraten. Natürlich gab es einen Mordsskandal, und sie zog sich daraufhin vollständig aus der Gesellschaft zurück.«
Damien nickte. Das würde zumindest ihre Panik und ihre Bereitschaft erklären, sich auf eine solch drastische Lösung wie die Flucht durch einen schmutzigen Geheimgang, dazu unschicklich spärlich bekleidet, einzulassen. Sie durfte unter keinen Umständen erneut in einer kompromittierenden Situation erwischt werden.
»Ich kenne Sebring«, sagte Damien langsam. »Das alles scheint so gar nicht zu ihm zu passen. Es sei denn, er hat sich seit unserer gemeinsamen Zeit in Cambridge grundlegend verändert. Damals waren wir gut miteinander befreundet. Ich habe ihn immer für einen anständigen Kerl gehalten. Obwohl ich ihm seit dem Krieg nicht mehr begegnet bin, kann ich mir ein solches Verhalten bei ihm nicht vorstellen. Es wäre völlig untypisch für den Mann, den ich damals kannte.«
»Ich bin mit den Details nicht vertraut.« Colton blickte ihn prüfend an. »Soll ich Brianna fragen, ob sie mehr weiß? Du scheinst ja ehrlich interessiert zu sein.«
Damien war sich nicht sicher, was er auf diese Frage antworten sollte.
Und allein das war schon interessant.
Kapitel 6
Ein ruhiger Abend daheim war für sie wie ein Geschenk. Im offenen Kamin des holzgetäfelten Speisesaals brannte ein wärmendes Feuer, das den großen Raum an dem kühlen Herbstabend zu einem angenehmen Aufenthaltsort machte.
Auf dem langen Tisch flackerten Kerzen in Kandelabern, Diener trugen Teller ab, denn der Fischgang war bereits vorbei. Sobald das Dinner beendet war, würde Lily sich in ihre Räume zurückziehen, wo Jane Austens neuester Roman neben ihrem Lieblingssessel auf sie wartete. Sie hatte ihn schon halb durchgelesen und wartete begierig darauf zu erfahren, wie die Geschichte weiterging.
»Ich habe das also richtig verstanden, dass du dich uns heute Abend nicht anschließt.«
Sie blickte auf, als ein Lakai einen Teller mit Ente und gerösteten Feigen auf ihren Platzteller stellte. James saß am anderen Ende des Tisches, und über sein Gesicht huschten im Schein der Kerzen bei jeder
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