Eine skandalöse Lady: Roman (German Edition)
Bewegung kleine Irrlichter. »Nein«, erklärte sie ihm. »Ich bleibe zu Hause, und wenn du meinst, mich deshalb schelten zu müssen, dann werde ich dich nicht daran hindern.« Lily schob ein Stück Ente in den Mund, genoss den köstlichen Geschmack, saftig und pikant, aber zugleich süß durch die Feigen, bevor sie weitersprach. »Weißt du, es bedeutet für mich einen kurzen Moment der Freiheit, einmal nicht unter dem wachsamen Auge der strengen Eugenia zu stehen. Ein entspannter Abend ganz für mich, ohne gesellschaftliche Verpflichtungen. Die Teegesellschaft heute Nachmittag war schon zermürbend genug.«
»Lily, bitte«, warf ihre jüngere Schwester Carole tadelnd ein. »Ich dachte, du fandest es nett.«
»Nein, dir hat es gefallen, aber du musstest ja auch nicht neben einem alternden Baronet sitzen«, sagte sie und gab sich größte Mühe, ihre Verbitterung zu verbergen.
Sir George Hardcourt, ihr Tischherr, war nämlich mindestens zwei Jahrzehnte älter als sie und bereits zweimal verwitwet. O ja, er war wohlhabend, soweit sie das beurteilen konnte, sah außerdem nicht direkt unattraktiv aus und galt damit also als durchaus erstrebenswerte Partie. Für andere, nicht für sie. Sie fühlte sich gelangweilt von der gezwungenen Konversation mit ihm – sie hatten nichts, aber auch gar nichts gemeinsam. Also würgte sie einen süßen Kuchen hinunter, trank mehrere Tassen Tee und blickte ungeduldig alle paar Minuten verstohlen auf die Uhr. Ihre Gnaden glaubte doch nicht allen Ernstes, Sir George könnte ein passender Ehemann für sie sein?
»Nein, das musste ich tatsächlich nicht«, gab Carole zu und errötete. Sie hatte neben Lord Davenport gesessen, der jung und hübsch und charmant war. Lily freute sich ehrlich für ihre Schwestern, die beide in dieser Saison ihr Glück zu machen schienen.
»Na, siehst du.« Lily trank einen Schluck Wein. Für sie war das Thema damit erledigt. Mit einem Mann zusammenzusitzen, den man mochte, vielleicht sogar sehr, das war schließlich etwas völlig anderes, als anderthalb Stunden lang über belangloses Zeug mit einem zweifachen Witwer zu reden, der vom Alter her leicht ihr Vater sein könnte. Überdies, argwöhnte sie, betrachtete er sie bestimmt wie eine Zuchtstute, die er sich anzuschaffen gedachte. Falls sie ihren Preis wirklich wert war.
»Ich verstehe«, sagte James vom anderen Ende der Tafel und zeigte ein angedeutetes Lächeln. » Ein traumatisches Erlebnis am Tag ist mehr als genug.«
Er verstand sie tatsächlich. Obwohl er sie gelegentlich mahnte, sich den gesellschaftlichen Gepflogenheiten etwas mehr anzupassen, unterstützte er sie meist in dem Wunsch, sich zurückziehen zu dürfen und Zeit für sich allein zu haben. Das mochte sie an ihm.
James war sechs Jahre älter als sie, aber als Kinder hatten sie viel Zeit gemeinsam verbracht. In Abwesenheit von Jonathan, der sich mit seiner jungen Frau auf den Landsitz zurückgezogen hatte, fungierte James in der Stadtresidenz praktisch als Familienoberhaupt und trug damit die Verantwortung für die drei Schwestern. Er übernahm diese Aufgabe wie immer klaglos und spielte den offiziellen Begleiter für seine Cousinen, aber Lily war überzeugt, dass diese Verpflichtung mit seinem Privatleben kollidierte. Obwohl er darüber nie redete. Doch seit einiger Zeit vermutete sie, dass er nicht bloß den üblichen Vergnügungen junger Männer aus aristokratischen Familien nachging, sondern dass mehr dahinterstecken könnte.
Sie beschloss, das Gespräch mit ihm zu suchen.
Nachdem das Dinner vorbei war und ihre Schwestern den Speisesaal verlassen hatten, um sich für die abendliche Party umzuziehen, trödelte sie noch ein wenig herum, wartete, bis der Diener die Glaskaraffe mit Portwein gebracht hatte, und räusperte sich. »Macht es dir etwas aus, wenn ich noch einen Moment bleibe?«
»Natürlich nicht.« James lehnte sich zurück, freundlich und zugleich neugierig. »Möchtest du ein Glas?«
Eigentlich war der Portwein nach dem Dinner den Herren vorbehalten, aber die Damen tranken ja normalerweise auch keinen Brandy in zugesperrten Räumen. Was sollten also solche albernen Regeln? »Ich glaube, das könnte ich vertragen. Vielen Dank.«
James ging zur Anrichte, um für sie ein Glas zu holen, schenkte ihr ein und nahm wieder Platz. »Ich bin ehrlich gesagt froh, dass du mir Gesellschaft leistest. Portwein nach dem Dinner ist eine ziemlich öde Angelegenheit, wenn man mit sich allein ist. Worüber möchtest du mit mir
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