Eine skandalöse Lady: Roman (German Edition)
reden?«
»Streitet man nicht beim Port lautstark über Politik und reißt derbe Witze?« Sie erwiderte das Lächeln. Irgendwie fiel es ihr schwer, sofort zur Sache zu kommen. »Ich wurde noch nie zu einer solchen Herrenrunde eingeladen, aber man erzählt sich, dass es dort so zugeht.«
»Ach, wenn du wüsstest, wie langweilig das bisweilen ist … Zumindest jetzt mit dir würde ich lieber darüber reden, was dich so beschäftigt. Du warst heute Abend ziemlich in dich gekehrt. Ist irgendetwas nicht in Ordnung?«
»Du meinst, abgesehen von den fehlgeleiteten Versuchen Ihrer Gnaden, mich heute Nachmittag an diesen Zweifachwitwer zu verkuppeln? An Sir George. Kann das ihr Ernst sein?«
»Zu ihrer und seiner Verteidigung muss man zugeben, dass er ein feiner Kerl ist. Und vermutlich äußerte er selbst den Wunsch, neben dir zu sitzen. Kürzlich, bei Tattersall’s, hat er jedenfalls nach dir gefragt. Die hübsche Lady Lily nannte er dich.«
Ihr war noch gar nicht die Idee gekommen, dass die Herzoginwitwe einfach nur dem Wunsch ihres Gastes nachgekommen sein könnte. »Dann muss ich ihr wohl vergeben, oder? Ich fürchtete schon, sie sei inzwischen so verzweifelt und entmutigt, dass sie nicht mehr davon ausgeht, etwas Besseres für mich auftreiben zu können als einen Mann, der zwei Jahrzehnte älter ist als ich und meiner Jugend wegen über meinen ramponierten Ruf großzügig hinwegsieht.«
»Ich bin sicher, dass sie nichts dergleichen denkt.« James verzog das Gesicht. »Sie hat immer so einen ganz besonderen Glanz in den Augen, wenn sie dich zu Empfängen, Bällen und dergleichen begleitet. Jeden Junggesellen muss das mit Entsetzen erfüllen – obwohl ich als dein Cousin außen vor bin, stelle ich mir das schrecklich vor, von ihr an den Haken genommen zu werden. Mir kommt sie immer vor wie ein General, der nach einem sorgfältig ausgearbeiteten Schlachtplan vorgeht. Ihre Strategien orientieren sich an gesellschaftlicher Stellung und Umfang des Bankkontos. Du wirst bestimmt eine wunderbare Partie machen, daran hege ich absolut keinen Zweifel. Etwas anderes wird Ihre Gnaden nicht zulassen.«
»Freut mich sehr, dass du das so amüsant findest. Ich könnte mich revanchieren und sie dezent darauf hinweisen, dass du ebenfalls Hilfe bei der Wahl eines Ehepartners benötigst«, erwiderte sie boshaft.
»Lillian Bourne, wage es bloß nicht!«
»Kannst du mir sagen, was du über Damien Northfield weißt?«
Ihre Worte schien ihn über die Maßen zu überraschen. So sehr, dass die Hand mit dem Glas, das er gerade zum Mund führen wollte, reglos in der Luft zu schweben schien. Gut, sie hatte ihre Frage sehr unvermittelt gestellt, ohne jede Einleitung, doch wo lag das Problem? Beim Gegenstand ihres Interesses? Aber wenn sie sich bei jemandem nach Damien Northfield erkundigen konnte, dann bei ihrem Cousin. Weil nämlich bei ihm Geheimnisse gut aufgehoben waren.
In dem riesigen Speisesaal war kein Laut zu vernehmen. Schließlich fragte James behutsam: »Northfield? Du meinst Rolthvens jüngeren Bruder? Ist ein paar Jahre älter als ich und ging bei Ausbruch des Krieges nach Spanien. Soviel ich weiß, kehrte er erst vor Kurzem nach London zurück. Musste erst eine schwerwiegende Verletzung auskurieren, die er sich in Waterloo zugezogen hat. So ein Pech, ausgerechnet in der allerletzten Schlacht.«
»Ich verstehe«, murmelte sie und erinnerte sich an sein Hinken und an den Augenblick, als er auf den steilen Stufen gestolpert war.
»Warum fragst du nach ihm?«, wollte James wissen. Seine langen Finger spielten mit dem Stiel seines Glases, und er beobachtete sie aufmerksam.
»Wir sind uns begegnet«, erwiderte sie trocken. »Und das geschah unter höchst ungewöhnlichen Umständen. Gestern Abend, um genau zu sein. Das war auch der Grund, warum ich dem Ball so lange ferngeblieben bin.«
»Ach ja?«
Der Portwein wärmte sie angenehm, und sie nahm einen weiteren Schluck, bevor sie ihm Bericht erstattete. Nur das mit dem Kleid, das verschwieg sie lieber. Selbst der tolerante James würde daran vermutlich Anstoß nehmen – zumal jetzt, wo er verantwortlich für sie war.
Zunächst wirkte er sogar amüsiert – besonders über ihre lebhafte Schilderung, wie Northfield von Lady Piedmont in die Ecke gedrängt worden war. Seine Belustigung schwand allerdings, als sie ihm von dem abgebrochenen Schlüssel und dem Fenster erzählte, das sich nicht öffnen ließ. Und von der Entscheidung, durch den Geheimgang aus der Bibliothek zu
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