Eine skandalöse Lady: Roman (German Edition)
loyal auf seiner Seite. »Dann kannst du ja dasselbe Glas noch einmal benutzen«, meinte er bloß süffisant, während sie den Korridor entlanggingen.
Sharpe verursachte dabei in der Dunkelheit nicht das geringste Geräusch. Aber auch das war keine Überraschung. Schließlich hatten sie lautloses Anschleichen in Spanien lange genug geübt, bis sie beide geradezu meisterhaft darin waren. Ebenfalls so eine Angewohnheit, die er dringend ablegen musste, weil es seine Mitmenschen bisweilen erschreckte. Wie etwa seine Haushälterin. Er zwang sich inzwischen jeden Morgen beim Aufstehen dazu, ein bisschen Lärm zu machen.
Sein Arbeitszimmer wirkte recht unpersönlich und eher spartanisch. Die Möbel waren neu, und an den Wänden hing einsam ein einziges Ölgemälde. Ferner stand in einem Bücherschrank mit Glastüren eine Miniatur seines Vaters, die aus dem Jahr seines plötzlichen Todes stammte. Sonst wies nichts auf seine Familie hin.
Er schenkte sich einen Whisky ein und reichte die Flasche an Sharpe weiter, lächelte dabei ironisch. »Nun? Was hast du in Erfahrung gebracht?«
Der junge Mann warf sich in einen Sessel und hielt sein gefülltes Glas genießerisch unter die Nase, bevor er davon trank. »War ein Klacks«, sagte er schließlich und schaute Northfield träge an, ohne sich weiter darüber auszulassen, was er genau meinte.
Der Mann war ihm ein Rätsel. Schon seit jeher. Er verfügte über einiges Wissen, obwohl er angeblich von einem Bauernhof stammte. Auf jeden Fall war er Waliser, wie sein Akzent verriet, und verdankte Haarfarbe und Teint wohl den keltischen Ahnen. Vieles an ihm schien geheimnisvoll, aber als Agent war er von unschätzbarem Wert gewesen. Wie ein Magier verschaffte er sich Zugang ebenso zu streng bewachten Objekten wie zu bedeutsamen, kriegsentscheidenden Informationen. Inzwischen ermittelte er im Auftrag diverser Anwälte in allen möglichen Fällen, von Ehebruch angefangen bis hin zum Mord.
»Mein Lieber, ich bin keineswegs davon ausgegangen, dass es sich um eine komplizierte Sache handelt. Aber du verstehst sicher, dass ich nicht selbst Nachforschungen über Lady Lillian Bourne anstellen konnte. Das hätte missverstanden werden können.« Damien trug eine gleichgültige Miene zur Schau, denn er wollte Alfred ganz gewiss nicht erklären, warum oder wozu er diese Auskünfte brauchte.
Könnte er auch gar nicht, weil er es selbst nicht wusste.
Eines allerdings stimmte: Solche Erkundigungen mussten äußerst diskret durchgeführt werden. Nicht auszudenken, was passierte, falls solch gezieltes Interesse eines Gentleman aus einer bekannten Familie an einer jungen, unverheirateten Dame aus einer ebenfalls bekannten Familie ruchbar würde. Es wäre zumindest ein gefundenes Fressen für die Klatschspalten der Zeitungen und die Klatschbasen in den Salons.
»Da gibt’s nicht viel zu sagen, Mylord«, bequemte sich Alfred jetzt zu erläutern. »Die fragliche Lady ist mit Lord Sebring durchgebrannt, änderte dann aber offenbar ihre Meinung. Vielleicht hat er’s im Bett nicht so gebracht. Ihr wisst schon … Jedenfalls kehrten sie bereits einen Tag später nach London zurück – allerdings nach einer gemeinsam verbrachten Nacht in einem gemütlichen Gasthaus in der Nähe von Northampton.«
Damien bezweifelte zwar, dass ein unschuldiges, unerfahrenes Mädchen auch nur annähernd die Qualitäten eines Liebhabers zu beurteilen vermochte, doch er mochte das Thema nicht vertiefen. Zumal die Gründe für das Scheitern dieser Beziehung bestimmt anderswo und nicht im sexuellen Bereich zu suchen waren. Im Übrigen musste sie gewusst haben, dass es nur eine einzige Möglichkeit gab, ihren Ruf einigermaßen zu retten. »Warum wurde Sebring nicht gezwungen, sie zu heiraten?«
»Das weiß keiner so genau. Zumindest niemand von den Leuten, mit denen ich geredet habe. Lady Lillians Vater hat den Mistkerl nie zum Duell gefordert. Schon merkwürdig, wie? Ihr Aristokraten bringt euch doch sonst so gerne gegenseitig um – da reichen schon geringere Anlässe als das Bespringen einer Tochter. Deshalb denke ich auch, dass sie plötzlich nicht mehr wollte und Sebring abwies, nicht umgekehrt.«
Die Sache schien tatsächlich ziemlich ungewöhnlich gelaufen zu sein, wie Damien zugeben musste. Alfred hatte recht: Die englische Aristokratie war berüchtigt dafür, Beleidigungen und Rufschädigungen nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Von daher unverständlich, dass der verstorbene Earl of Augustine seinerzeit
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