Eine skandalöse Lady: Roman (German Edition)
schoben sich wie ein Schleier vor die Sichel des Mondes. Gerade richtig, um nach draußen zu gehen. Trotzdem sollte sie es eigentlich nicht tun, doch die Verlockung, dem Gedränge im Ballsaal für eine Weile zu entfliehen, war groß.
»Habt Ihr mit meinem Cousin James gesprochen?«, fragte sie, als sie auf die Terrasse traten. Es klang, als suche sie eine Erklärung, warum sie überhaupt auf ihn zugekommen war.
»Nein. Warum?«
»Ich habe ihn gebeten, Euch zu danken, falls er Euch über den Weg läuft. Weil Ihr mir neulich geholfen habt.«
»Mir danken?« Er wirkte ehrlich überrascht.
»Ihr habt mich auf effektive, wenngleich recht unorthodoxe Weise gerettet.« Sie versuchte nicht zu erröten, als sie sich wieder daran erinnerte, wie sie vor seinen Augen das Kleid ausgezogen hatte. Aber sie spürte bereits die verräterische Wärme, die an ihrem Hals aufzusteigen begann.
»Es gibt keinen Grund für irgendwelche Dankbarkeit. Ich glaube, ich war ursprünglich derjenige, der Euch störte, noch dazu mit Lady Piedmont auf den Fersen. Und dann habe ich zu allem Überfluss die Tür abgeschlossen, sobald sie verschwunden war. Und damit nahm das Unglück seinen Lauf – es war also ganz allein meine Schuld.«
»Ach, das sagt Ihr nur, weil Ihr höflich sein wollt.«
»Durchaus nicht.«
Er war attraktiver, als sie ihn in Erinnerung hatte. Allerdings war in der Bibliothek ja kaum Licht gewesen, sodass sie ihn jetzt erstmals richtig sah. Seine Gesichtszüge waren ausgesprochen ansprechend, und seine dichten, leicht gelockten Haare reichten fast bis zum Kragen.
Und dann diese dunklen Augen. So forschend und eindringlich. Durchdringend fast, als könne er bis tief auf den Grund ihrer Seele blicken.
Was sieht er dort wohl?
Der beschwingte Rhythmus der Musik war durch die offenen Türen zu hören. Aus der Entfernung genoss sie die Musik viel mehr. Leichthin bemerkte sie: »Der Punkt ist, dass es nicht zu einer Katastrophe kam, und das habe ich Eurer raschen Reaktion zu verdanken. Und dann bin ich so schnell verschwunden, dass ich vergessen habe, Euch meine Dankbarkeit auszudrücken. Als mir das später bewusst wurde, fand ich mich schrecklich unhöflich.«
Er senkte leicht die Lider, und die Intensität seines Blickes machte sie unruhig. Sie blieb an der Brüstung stehen und gab sich größte Mühe, eine gefasste Miene zur Schau zu stellen. »Sagt mir, habt Ihr Sebring den Laufpass gegeben, oder war es umgekehrt?«
Sie zuckte zusammen bei dieser sehr persönlichen Frage. Andererseits hatte sie ihm ja am Abend in der Bibliothek offen gesagt, dass sie es sich nicht leisten konnte, ein zweites Mal ins Gerede zu kommen. Zweifellos war er neugierig gewesen und hatte sich nach ihr erkundigt. Früher oder später würde er ohnehin davon erfahren, doch in diesem Moment störte es sie. Sie stellte sich vor, wie ihm die schmutzige Geschichte ihres Durchbrennens von irgendwem hinter vorgehaltener Hand zugeflüstert wurde. Bei anderen war ihr das egal, bei ihm nicht.
Ich kenne ihn doch kaum. Wieso macht es mir dann was aus, was er über mich denkt?
Vorsichtig erklärte sie: »Das ist eine Sache, die zwischen ihm und mir bleiben sollte.«
»Das ist nur fair.« Er neigte den Kopf und verlagerte sein Gewicht. Vermutlich, weil sein Bein schmerzte. Schon merkwürdig: Während sie in gesellschaftlicher Hinsicht als beeinträchtigt galt, hatte ihn der Krieg körperlich versehrt, und sie fragte sich, ob das der Grund war, weshalb sie sich ihm so verbunden fühlte.
»Die Frage ist nicht unvernünftig«, gab sie möglichst unbeteiligt zu. »Aber ohne ins Detail zu gehen, kann ich darauf keine Antwort geben.«
»Vielleicht habe ich mich auch falsch ausgedrückt. Ich wollte eher sagen, dass es für mich nur schwer vorstellbar ist, dass er so einfach seine Meinung geändert haben soll.«
Sie verspürte ein merkwürdiges Flattern in ihrer Magengrube. »Wenn das ein Kompliment war, danke ich Euch dafür.«
»So war es gedacht.«
»Das alles liegt inzwischen vier Jahre zurück. Arthur ist ein verheirateter Mann, und ich für meinen Teil sehe keinen Grund, noch über die Vergangenheit nachzugrübeln.«
»Eine vernünftige Ansicht.« Sein Lächeln wirkte seltsam distanziert, flackerte nur kurz auf. »Ich habe seit meiner Rückkehr nach England immer wieder versucht, mir genau das einzureden. Bisher leider nur mit mäßigem Erfolg.«
Sie legte eine behandschuhte Hand auf die Balustrade und schaute hinaus auf den Garten. »Ich bin sicher,
Weitere Kostenlose Bücher