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Eine skandalöse Lady

Eine skandalöse Lady

Titel: Eine skandalöse Lady Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Teresa Medeiros
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stand inzwischen dicht hinter ihr, sodass Lottie jeden der raschen Atemzüge des Kindes hören konnte. Sie griff hinter sich und nahm Allegras eisige Hand, nicht ganz sicher, ob sie das tat, um Allegra Mut zu machen oder sich selbst.
    Als Lottie vorsichtig die Tür öffnete, entrang sich ihren Lippen unwillkürlich ein Seufzen. Der achteckige Raum war von erlesener Schönheit – luftig und elegant, ohne das dunkle Mahagoni, das den Rest des Hauses beherrschte. Er war im griechischen Stil eingerichtet worden, der erst vor wenigen Jahren in der guten Gesellschaft der letzte Schrei gewesen war. Die Wände waren mit weiß lackierten Holzpaneelen getäfelt, die am Rand mit vergoldetem Blattwerk eingefasst waren. Handgemalte Blumen zierten jedes Sims und Fries. Schlanke Säulen säumten den Raum, erhoben sich zu einem kuppelförmigen Oberlicht, das dem grauen Himmel zum Trotz auch noch das letzte Tageslicht einfing. Die Paneele weiter unten waren himmelblau gestrichen und mit luftigen weißen Wolken bemalt.
    »So habe ich mir immer den Himmel vorgestellt«, flüsterte Lottie, da sie die Stille nicht stören wollte.
    Bis auf das sanfte Prasseln der Regentropfen auf das Oberlicht war das einzige Geräusch im Raum das ihrer weichen Schuhe, als sie und Allegra Hand in Hand über das Parkett gingen.
    Wenn das hier der Himmel war, dann musste die Frau auf dem Portrait über dem weißen Marmorkamin ein Engel sein. Sobald Lottie alt genug gewesen war, aus ihrem Bettchen zu klettern und zu einem Spiegel zu laufen, hatte sie gewusst, dass sie eine Schönheit war. Aber dieses göttliche Geschöpf mit ihren wehenden Zobellocken und lachenden violetten Augen war wahrhaft unbeschreiblich schön.
    Wenigstens hat Ned genug Verstand, mir keine Brünette zu schicken.
    Als Haydens wehmütige Worte ihr wieder einfielen, berührte Lottie geistesabwesend mit einer Hand ihr eigenes Haar. Zum ersten Mal schien es ihr farblos, ein blasser Schatten eines viel lebhafteren Farbtons.
    Die Frau auf dem Gemälde besaß nicht den Alabasterteint englischer Rosen, sondern eine sinnlich gallische Tönung. Sie schaute jemanden links vom Künstler an, jemanden, der sie dazu brachte, ihre üppigen Lippen zu einem reizenden Schmollmund zu verziehen, und der ihre Augen mit unausgesprochenen Versprechen funkeln ließ. Es war schwer zu glauben, dass solche Lebhaftigkeit für immer ausgelöscht sein sollte. Selbst noch auf Leinwand gebannt, wirkte Justine lebendiger, als die meisten Frauen es sich je erhoffen durften.
    Sie gehörte zu den Frauen, für die ein Mann sterben und für die er töten würde.
    Lottie war so erschüttert, dass sie gar nicht spürte, wie Allegras Finger ihrer Hand entglitten, bis sie nicht mehr da waren. Sie drehte sich um und entdeckte, dass das Kind vor dem Bild seiner Mutter stand und es mit unheimlicher Distanziertheit betrachtete.
    »Deine Mutter war wunderschön«, sagte Lottie und bemühte sich, ihr Unbehagen nicht zu zeigen.
    Allegra zuckte die Schultern. »Vermutlich. Ich erinnere mich nicht wirklich an sie.«
    In der Hoffnung, den verführerischen Bann des Gemäldes zu brechen, kehrte Lottie ihm den Rücken und bemerkte, dass der Raum kein Atelier war, sondern ein Musikzimmer. Eine vergoldete Harfe stand in der Ecke neben einem niedrigen Diwan. In der gegenüberliegenden Ecke befand sich ein Klavichord, das eigentlich in ein Musikzimmer des vorigen Jahrhunderts gehört hätte. Aber den Mittelpunkt des Raumes bildete ein Wiener Konzertflügel, der weiß lackiert worden war, damit er farblich in das Zimmer passte. Der flügelförmige Deckel war geöffnet, die geschwungenen Beine eine Studie der Anmut.
    Lottie trat zu dem Instrument und strich mit einem Finger sachte über die schimmernden Tasten in Elfenbeinweiß und Ebenholzschwarz. Nirgendwo war auch nur ein Stäubchen zu entdecken. Wenn Martha die Einzige war, die einen Schlüssel zu diesem Raum haben durfte, dann war sie eine sehr sorgfältige Hüterin des Gedenkens an ihre ehemalige Herrin.
    Lottie nahm aus dem Augenwinkel eine flüchtige Bewegung wahr und fragte Allegra: »Spielst du?«
    Das Mädchen riss seine Hand zurück und versteckte sie hinter ihrem Rücken. »Natürlich nicht. Vater würde das nie erlauben.«
    Lottie runzelte die Stirn. Auf dem Notenständer lagen mehrere vergilbte Notenblätter, fast so, als sei ihre Besitzerin nur kurz zum Nachmittagstee gegangen und würde jeden Augenblick zurückkommen. Als Lottie sich auf die Bank setzte, hatte sie das Gefühl,

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