Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine skandalöse Lady

Eine skandalöse Lady

Titel: Eine skandalöse Lady Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Teresa Medeiros
Vom Netzwerk:
war nur Lottie da gewesen – ihr einladender Mund wie eine lodernde Flamme unter seinem –, heiß und süß und unwiderstehlich. Als sie ihre kleinen Hände um seinen Hemdkragen geschlossen und ihn näher zu sich gezogen hatte, statt ihn fortzustoßen, hatte er das beunruhigende Gefühl gehabt, etwas in ihm erwachte zu neuem Leben, nicht nur in seinem Körper, sondern auch in seiner Seele.
    Belastender noch als ihr Kuss war jener Augenblick gewesen, als er erklärt hatte, dass er wollte, Allegra würde wie sie werden. Dass er ihren Mut und ihre Klugheit bewunderte, ihre Weigerung, sich an die erstickenden Regeln der Gesellschaft zu halten. Genauso gut hätte er gleich damit herausplatzen können, dass er dabei war, sich in sie zu verlieben.
    Hayden blieb wie erstarrt stehen, denn dieser Gedanke war viel erschreckender als irgendein wehklagender Geist aus der Vergangenheit. Das letzte Mal, als er sein Herz verloren hatte, hätte ihn das beinahe auch noch den Verstand gekostet.
    Wie um ihn an den Preis solcher Dummheit zu gemahnen, drang plötzlich wildes Klavierspiel an seine Ohren, erschuf rohe Eindringlichkeit mit seiner Schönheit und seinem Wahnsinn.
    Hayden bewegte sich unwillkürlich auf die Quelle des Geräusches zu und fürchtete dabei, Lottie hätte unabsichtlich eine Macht entfesselt, die sie beide zerstören könnte.
    Lottie eilte mit wehendem Nachthemd durch den dunklen Flur. Da sie genau wusste, dass die Diener sich alle in ihren Betten verkrochen hatten, hatte sie sich nicht die Zeit genommen, einen Morgenmantel überzuziehen. Die Musik schwoll mit jedem Schritt an, der sie näher zum Westflügel brachte. Aber sie war nicht bereit, sich von ihrem Vorhaben abbringen zu lassen. Nicht länger trieb sie Mut oder Neugier an, sondern der leidenschaftliche Wunsch, sich der Frau zu stellen, die sich weigerte, Haydens Herz freizugeben.
    In Wahrheit hatte Lottie mehr Angst, als je zuvor in ihrem Leben. Als sie den langen, verlassenen Korridor erreichte, vermochte noch nicht einmal die Musik das Klappern ihrer Zähne zu übertönen. Als sie sich den Türen am Ende des Flurs näherte, erwartete sie halb, dass sie von allein aufschwingen würden, eine Einladung, hinter der sich eine Falle verbarg.
    Ihre steifen Finger ließen sich nicht um die Türklinke legen. Als sie sie schließlich doch nach unten drücken konnte, geschah nichts. Die Türen waren verschlossen so wie heute Nachmittag, als Allegra und sie hier gestanden hatten. Lotties Hände schwitzten so schlimm, dass sie die Haarnadel zweimal fallen ließ, ehe es ihr schließlich gelang, das Schloss zu knacken.
    Dennoch zögerte sie. Wenn sie die Türen ohne Warnung aufstieß, würde sie eine ihr übel wollende, wabernde Gestalt am Piano entdecken? Oder würden sich die Tasten wie von selbst bewegen, gespielt von unsichtbarer Hand?
    Völlig entnervt von diesem Bild drückte sie die Klinke langsam nach unten und hoffte, die Musik würde so jäh verstummen wie in ihrer ersten Nacht in Oakwylde Manor. Doch als sie die Tür vorsichtig öffnete, fluteten die Töne so gewaltig über sie hinweg, dass Lottie spürte, wie ihr Herz im selben Rhythmus zu klopfen begann.
    Der geräumige Salon war in Schatten gehüllt. Obwohl der Regen schon vor Stunden aufgehört hatte, huschten noch Wolken über den Ausschnitt des Nachthimmels, den man durch das Oberlicht erkennen konnte. Die Wolkenfetzen schoben sich immer wieder vor den Mond und tauchten Justines Portrait abwechselnd in Licht und Schatten.
    Der Deckel des Klaviers war geöffnet, sodass von der Tür aus nicht zu sehen war, wer davor saß.
    Langsam ging Lottie um das Instrument herum und schwor sich, nicht zu schreien, gleichgültig, wen – oder was – sie auf der anderen Seite entdecken würde. Berauschender Jasminduft wehte zu ihr und hüllte sie in eine erstickende Wolke, sodass ihr schwindelig wurde.
    Als sie den Flügel umrundete, saß da eine Frau, ganz in duftiges Weiß gekleidet, und das dunkle Haar fiel ihr offen über den Rücken.
    Justine.
    Lottie hätte nicht schreien können, selbst wenn sie gewollt hätte. Furcht schnürte ihr die Kehle zu.
    Ein Windstoß vertrieb die Wolken. Mondschein strömte durch das Oberlicht und enthüllte ihr nicht die Züge einer Frau, sondern die eines Kindes, das ein Nachthemd trug, in das es zweimal hineingepasst hätte.
    Allegra.
    Wie gebannt von der Schönheit und der Kraft des Spiels ihrer Stieftochter, musste sich Lottie am Klavier festhalten, um nicht zu

Weitere Kostenlose Bücher