Eine skandaloese Liebesfalle
verschafft zu haben. Und nur, damit du es weißt, der Reiseführer lag nur deswegen so achtlos zwischen meinen Wäscheteilen, weil mein Onkel nicht zu Hause war. War das Gegenteil der Fall, blieb er sicher versteckt in einem ausgehöhlten Wälzer mit irgendetwas Griechischem, auf einem Regal mit dreihundert anderen griechischen Büchern.“
Vere konnte in fünf anderen Sprachen als Englisch lesen und hatte sich nichts bei dem Mangel an englischen Werken in Douglas’ Bibliothek gedacht. Aber für jemanden, der keinen Unterricht in anderen europäischen Sprachen erhalten hatte, musste der Besuch in dieser Bibliothek so quälend gewesen sein wie in der Mitte eines Ozeans zu verdursten.
Jedes Detail, das er über ihr Leben erfuhr, war verknüpft mit Unterdrückung. Und trotzdem war sie angesichts dieser Erfahrungen nicht nur geistig gesund geblieben, sondern hatte sich eine Fähigkeit zur Freude bewahrt, die zu verstehen er eben erst begonnen hatte. Die er nun wohl nie wirklich kennen würde.
Der Gedanke war wie ein Stich ins Herz.
„Das Buch in deiner Schublade war ein Reiseführer über Süditalien. Darin stand auch etwas über Capri, nehme ich an?“
„Nicht sehr viel. Es gab ein viel besseres Buch, aber ich habe es verloren, als mein Onkel seine Säuberungsaktion in der Bibliothek vornahm.“
Ungebeten kamen Erinnerungen an die vergangene Nacht in ihm hoch: ihre Arme, die ihn hielten, ihre liebliche Stimme, mit der sie von ihrer weit entfernten Insel sprach. Ihm fiel auf, dass er sich nie überlegt hatte, was seine Milch-und-Honig-Gefährtin tun würde, wenn sie mit seinen Albträumen konfrontiert wurde. Er war einfach davon ausgegangen, dass sie aufhören würden, wenn er sein sanftes, unbeflecktes Beispiel an Vollkommenheit erst einmal bekommen hatte.
Sie hatte aus dem Fenster geschaut, aber jetzt wandte sie ihm das Gesicht zu. „Warum hast du mich gezwungen, dir beim Singen zuzuhören? Du bist ein schrecklicher Sänger. “
„Jemand arbeitete im Zimmer deiner Tante, um den
Tresor aufzubrechen. Ich musste dich von da fernhalten. “ „Du hättest es mir sagen können. Ich hätte ihm das Licht gehalten.“
„Das konnte ich dir nicht anvertrauen. Es hatte ganz den Anschein, als lebtest du recht zufrieden im Hause deines Onkels.“
„Umso dümmer von dir. Du hättest dir die Plage dieser Ehe ersparen können.“
Er klopfte mit seinem Stift auf den Schreibtisch. Plötzlich war alles, woran er sich entsinnen konnte, die Momente voll überraschender Freude. Ihr gemeinsames Nickerchen im Zug; ihre unerhört irrige Rede über die Zubereitung von Marmelade, die ihn noch am nächsten Tag zum Lächeln gebracht hatte, als er zu Fuß unterwegs war, Meile um Meile; gestern Nacht.
„Ich würde diese Ehe nicht unbedingt als Plage einstufen. Es ist mehr eine Last gewesen.“
Sie warf einen kleinen Blumentopf samt Inhalt quer durchs Zimmer. Der Terracottatopf zerbrach am Kaminsims. Die Erde und die Orchidee, die darin wuchs, fielen mit einem Klatschen zu Boden.
„Du besitzt mein ganzes Mitgefühl“, sagte sie. „Und mein aufrichtiges Beileid.“
Seine ideale Gefährtin wusste nicht, was Ärger war. Ihre Stimme würde nie vor Sarkasmus triefen. Und natürlich, da sie keine reale Person darstellte, war es für sie auch leicht, keine heftigen Gefühle zu haben; sie war einfach nur Lächeln, körperliche Nähe und perfekte Vollkommenheit.
Er blickte zu der sehr wirklichen, echten Frau auf der Fensterbank, die angeschlagen, aber nicht gebrochen war. Alle ihre Gefühle waren heftig: ihr Ärger, ihre Enttäuschung, ihre Verzweiflung - und ihre Liebe.
Er nahm den Teller mit Sandwiches auf dem Schreibtisch in die Hand und ging zu ihr. „Wenn du hungerst, hilft das dir nicht weiter, und deiner Tante auch nicht.“
Sie verzog ihr Gesicht, als sei der Teller voller lebender Skorpione. Aber gerade, als er schon dachte, sie würde ihn ihm aus der Hand schlagen, nahm sie ihn. „Danke.“ „Ich läute nach frischem Tee.“
„Du musst nicht so nett zu mir sein. Ich werde es dir nicht danken.“
In diesem Fall wusste er es besser als sie. „Falsch - ich habe nie eine Frau getroffen, die für die kleinsten Freundlichkeiten dankbarer wäre. “
Sie schaute ihn finster an, dann drehte sie sich wieder zum Fenster um.
Die Nachmittagspost brachte einen Brief von Tante Rachel.
Liebe Elissande,
auf meinem Weg nach London habe ich im Zug eine alte Schulfreundin von mir getroffen. Wie habe ich mich gefreut! Wir haben
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