Eine skandaloese Liebesfalle
dem Zimmer und lauschte. Wenn Mrs Douglas ihre Stimme fand und doch noch zu schreien begann, dann jetzt. Die Dienstbotentreppe war nicht weit. Über die würde er entkommen und den anderen Gästen, die ihr markerschütternder Schrei zweifellos herlocken würde, aus dem Weg gehen.
Aber kein Laut drang aus dem Raum, kein Schnappen nach Luft, ja noch nicht einmal ein Wimmern.
Er kehrte zurück zu seinem Zimmer, war aber ernstlich beunruhigt.
Die Standuhr schlug zur Stunde, drei blecherne Töne, die in der dunklen Stille dröhnten.
Es war immer drei Uhr.
Das geschnitzte Geländer fühlte sich kalt an. Die hohen Zimmerpalmen, die sein Vater stets mit Stolz betrachtet hatte, waren nun nichts weiter als Gespenster mit schwingenden Armen. Ein Palmwedel strich über seinen Handrücken. Er erbebte vor Angst.
Trotzdem ging er weiter hinunter, tastete sich eine Stufe nach der anderen vor. Am Fuß der Treppe war ein schwacher Lichtschein. Er wurde davon angezogen wie ein kleines Kind von einem tiefen Teich.
Zuerst sah er ihre Füße, zierlich und in blauen Tanzschuhen. Ihr Kleid schimmerte leicht schillernd in dem Licht, das aus dem Nichts kam. Ihre Arme steckten in langen weißen Handschuhen, einer von ihnen lag über ihrem Oberkörper.
Ihr weißer Schal hing ihr schlaff um die Schultern. Ihre Frisur war ruiniert. Federn und Kämme steckten in einem Gewirr aus dunklen Knäueln, alles wild durcheinander. Ihr viel bewundertes fünfsträngiges Saphirhalsband hatte sich verdreht und bedeckte nun Kinn und Mund - ein juwelenbesetzter Maulkorb.
Dann erst bemerkte er ihren Hals - in einem nicht möglichen Winkel.
Ihm war ganz übel. Aber sie war schließlich seine Mutter. Er streckte eine Hand aus, um sie zu berühren. Plötzlich schlug sie die Augen auf, Augen, die versteinert vor Angst waren und zugleich leer. Er zuckte zurück, sein Absatz verfing sich an der ersten Stufe. Er fiel die Treppe hinunter.
Hinunter, hinunter und weiter hinunter ...
Vere fuhr in seinem Bett auf, keuchend rang er nach Luft. Der Traum kehrte regelmäßig wieder, aber nie so wie eben. Er hatte irgendwie Mrs Douglas’ entsetzte Augen in seinen Albtraum eingebaut.
Seine Tür öffnete sich. „Geht es Ihnen gut, Lord Vere? Ich habe aus Ihrem Zimmer Geräusche gehört.“
Miss Edgerton, jedenfalls ihr schattenhafter Umriss, stand auf der Türschwelle.
Einen Augenblick verspürte er das tiefe Verlangen, sie neben sich zu spüren. Sie sollte ihm mit der Hand die Wange streicheln, ihm versichern, es sei alles nur ein Traum gewesen. Sie würde ihn überreden, sich wieder hinzulegen, die Decke um ihn feststecken und lächeln ...
„Himmel, nein, nein. Allerdings geht es mir gar nicht gut!“, erwiderte er mit Nachdruck. „Wie ich diesen Traum hasse. Sie wissen schon, den, in dem man verzweifelt überall im Haus ein Wasserklosett sucht, aber es ist einfach keines zu finden - und auch keine Nachttöpfe oder wenigstens ein vernünftiger Eimer. Und überall sind Unmengen Leute, in jedem Zimmer, draußen im Garten, auf dem Rasen ... Oh, Grundgütiger, ich hoffe, ich habe nicht... “
Sie machte ein ersticktes Geräusch.
„Dem Himmel sei Dank“, fuhr er fort, „Ihrem Bettzeug ist nichts geschehen. Aber wenn Sie mich freundlicherweise entschuldigen wollen, ich muss ... “
Die Tür schloss sich energisch.
Am Morgen fuhren alle mit Kutschen nach Woodley Manor, um sich den abstoßenden Berg toter Ratten anzusehen. Der Kammerjäger posierte zusammen mit seinen erschöpften Rattenhunden und einem triumphierenden Frettchen vor Lord Fredericks Fotoapparat. Er zwirbelte seinen dunklen üppigen Schnurrbart, während das denkwürdige Ereignis für die Nachwelt festgehalten wurde.
„Meine Dienerschaft ist schon fleißig bei der Arbeit“, erklärte Lady Kingsley an Elissande gewandt. „Man hat mir versichert, das Haus werde morgen Vormittag wieder uneingeschränkt bewohnbar sein. Ich verspreche Ihnen, wir werden in dem Moment umsiedeln, in dem das der Fall ist.“
Elissande fühlte, wie in ihrem Innern die Alarmglocken schrillten. Es blieb ihr keine Zeit mehr. Es musste etwas geschehen.
Sie musste etwas geschehen lassen.
Der Herr half nur denen, die sich selbst zu helfen wussten.
7. Kapitel
Elissande hatte ein paar Dinge von ihren Eltern geerbt: einen Satz Silberkämme von ihrer Mutter, eine Flasche Parfum, das eigens vom berühmten französischen Parfumhaus Guerlain für Charlotte Edgerton hergestellt worden war, den Rasierpinsel ihres Vaters und ein
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