Eine skandalöse Versuchung
Stattdessen verschränkte sie jedoch die Hände im Schoß und blieb aufrecht sitzen, den Blick starr geradeaus gerichtet.
Auch wenn er nicht versucht hatte, sie unschicklich zu berühren oder ihre Sinne zu verwirren, hatte sie doch genug gesehen - gespürt -, um die Wahrheit hinter seiner Maske zu durchschauen. Er hatte keineswegs aufgegeben.
Aber das würde er schon noch. Irgendwann.
Mildred, ihr gegenüber, rührte sich. »Was für vollendete Manieren - wirklich hochherrschaftlich. Du musst schon zugeben, es gibt heutzutage nur noch wenige Gentlemen, deren Verhalten so …« Sie gestikulierte auf der Suche nach einem passenden Wort.
»… männlich ist«, vollendete Gertie ihren Satz.
Leonora wie Mildred sahen sie überrascht an. Mildred fand ihre Fassung als Erste wieder. »Ganz richtig!« Sie nickte. »Da hast du vollkommen recht. Er hat sich genauso verhalten, wie man es von einem Gentleman erwartet.«
Nachdem sie den kleinen Schock verwunden hatte, dass ausgerechnet Gertie, die Männerverächterin, sich anerkennend über einen Mann geäußert hatte - andererseits handelte es sich um Trentham, den perfekten Charmeur; sie hätte es sich denken können -, fragte Leonora die beiden: »Wie habt ihr ihn eigentlich kennengelernt?«
Mildred setzte sich anders hin und ordnete ihr Kleid. »Er ist
heute Vormittag bei uns vorbeigekommen. In Anbetracht der Tatsache, dass ihr euch bereits kanntet, erschien mir seine Einladung überaus vernünftig.«
Aus Mildreds Sicht gewiss. Leonora sparte es sich, sie daran zu erinnern, dass sie die Karten angeblich von einem alten Freund erhalten hatte; ihr war schon lange bewusst, wie weit ihre Tante zu gehen bereit war, nur um sie in die Nähe eines akzeptablen Junggesellen zu locken. Und Trentham war zweifellos mehr als akzeptabel.
Dieser Gedanke führte ihr den Mann erneut lebhaft vor Augen - und zwar nicht im Theater, sondern während der glorreichen Momente, die sie in jenem Schlafzimmer miteinander verbracht hatten. Jeder Augenblick, jede Berührung war tief in ihr Gedächtnis eingebrannt; allein der Gedanke daran reichte aus, um alle Gefühle, alle Eindrücke - und zwar nicht nur die sinnlichen - wieder in ihr wachzurufen.
Sie gab sich die allergrößte Mühe, die Erinnerungen von sich fernzuhalten, nicht über die Gefühle nachzudenken - oder gar darin zu schwelgen -, die sie in dem Moment verspürt hatte, als ihr bewusst geworden war, dass er auf den eigentlichen Vollzug verzichten wollte; jenes Gefühl, das sie schließlich dazu bewegt hatte, ihn geradewegs anzuflehen.
Bitte. Verlass mich nicht.
Diese Worte verfolgten sie; schon die Erinnerung daran hatte zur Folge, dass sie sich extrem verwundbar fühlte. Schutzlos ausgeliefert.
Seine Reaktion hingegen … Ganz gleich, was sie sonst über ihn wusste, wie sie seinen Charakter oder seine Machenschaften einschätzen mochte - sie war ihm eindeutig zu Dank verpflichtet.
Dafür, dass er ihr gegeben hatte, wonach sie verlangte.
Dafür, dass er in diesem Moment allein ihrem Willen, allein ihren Wünschen gefolgt war und sich ihr bedingungslos hingegeben hatte.
Sie schob die Erinnerungen beiseite; sie waren viel zu lebhaft, um sich ihnen hier und jetzt hinzugeben. Stattdessen konzentrierte
sie sich auf die Geschehnisse des heutigen Abends, auf alles, was zwischen ihnen passiert oder nicht passiert war. Einschließlich der Erinnerung daran, wie sie selbst auf ihn und seine Nähe reagiert hatte. Ihre Reaktion hatte merklich neue Züge angenommen. Ihre Nerven waren nicht mehr zum Zerreißen gespannt. Wenn er nunmehr in ihre Nähe kam, sie berührte, begannen ihre Nerven sanft zu glühen. Anders konnte sie dieses Gefühl warmen Wohlbehagens nicht beschreiben. Vielleicht war es so etwas wie das Echo ihres sinnlichen Vergnügens. Wie auch immer, sie war jedenfalls keineswegs nervös gewesen, sondern hatte sich vielmehr ausgesprochen wohlgefühlt. Es schien geradeso, als ob die Tatsache, dass sie sich nackt mit ihm im Bett gewälzt und intime Freuden genossen hatte, ihre Empfindungen von Grund auf verändert hätte.
Und zwar eindeutig zum Besseren, wie sie fand. Sie fühlte sich ihm gegenüber nicht mehr im Nachteil, spürte keine körperliche Anspannung mehr, war nicht mehr so verkrampft. Seltsam, aber wahr. Die Zeit, die sie allein mit ihm in der Loge verbracht hatte, war angenehm und ungezwungen gewesen.
Wenn sie ehrlich war, hatte sie es, trotz seiner intimen Fragen, regelrecht genossen.
Sie seufzte und lehnte sich auf
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