Eine skandalöse Versuchung
Tristan bemerkte, dass er einen Block und einen Bleistift gezückt hatte und eifrig zeichnete - eine Tätigkeit, die nicht so recht zu seinem Äußeren passen wollte.
Der Ausländer wandte sich nicht um; anscheinend hatte er ihnen ihre kleine Farce abgekauft. Sie hofften darauf, dass er sich umgehend in sein Büro begeben würde, anstatt in jene zweifelhaften Gegenden, die sich ebenfalls in der Nähe des Parks befanden. Die Richtung, die er einschlug, war vielversprechend. Viele der ausländischen Botschaften lagen nördlich des Parks, in der Nähe von St. James’s Palace.
Tristan ließ Leonoras Taille los und ergriff stattdessen ihre Hand; er blickte sie an. »Wir tun so, als wollten wir uns ein wenig amüsieren, als wollten wir eines der Varietés in der Nähe der Piccadilly aufsuchen.«
Sie riss die Augen auf. »Ich habe noch nie eines betreten. Sollte mich diese Aussicht vergnügt stimmen?«
»Durchaus.« Angesichts ihrer Begeisterung musste er unwillkürlich grinsen. Allerdings hatte ihre Erregung nicht das Geringste mit besagten Tanzlokalen zu tun, sondern vielmehr mit dem puren Nervenkitzel.
Sie kamen an Deverell vorbei, der sich gerade das Gras von seiner Kleidung klopfte, um sich unauffällig ihrer Verfolgungsjagd anzuschließen.
Tristan hatte reichlich Erfahrung, wenn es darum ging, einzelne Personen durch große Städte und dichte Menschenmengen hindurch zu verfolgen; Deverell ebenfalls. Sie hatten beide überwiegend
in größeren französischen Städten gearbeitet; die ausgefeiltesten Methoden der Verfolgung waren für sie zu einer Selbstverständlichkeit geworden.
Jeremy würde Humphrey einsammeln und mit ihm zum Montrose Place zurückkehren, um von dort aus die weiteren Entwicklungen abzuwarten; Charles und Duke würden sie bereits erwarten. Man hatte Charles dazu auserkoren, die Stellung zu halten, bis die anderen mit dem letzten wichtigen Puzzlestück zurückkehrten.
Die Zielperson überquerte die Brücke, die auf die andere Seite des Kanals hinüberführte, und ging weiter in Richtung St. James’s Palace.
»Richte dich einfach danach, was ich tue«, murmelte Tristan, während sein Blick fest auf den Rücken des Mannes geheftet blieb.
Tristans Erwartungen entsprechend blieb der Mann kurz vor dem Parktor stehen und beugte sich nach unten, wie um einen Stein aus seinem Schuh zu entfernen.
Tristan schob einen Arm um Leonora und kitzelte sie spielerisch; sie kicherte und wand sich. Er zog sie lachend an sich heran und ging geradewegs an dem Mann vorbei, ohne ihn eines Blickes zu würdigen.
Leicht außer Atem lehnte sich Leonora näher an Tristan heran, während sie unbeirrt weitergingen. »War das ein Test?«
»Ja. Wir werden nach ein paar Schritten stehen bleiben und darüber diskutieren, in welche Richtung wir gehen wollen, damit er uns wieder überholen kann.«
Sie taten genau das; Leonora fand, dass sie eine ganz passable Vorstellung eines Pärchens der Unterschicht abgaben, das angeregt über die Vorzüge diverser Varietés debattierte.
Als sich der Mann wieder vor ihnen befand und zügig weiterschritt, ergriff Tristan Leonoras Hand, und mit etwas forscherem Schritt, so als hätten sie sich nun auf ein Ziel geeinigt, folgten sie dem Mann.
Die Gegend um St. James’s Palace war durchzogen von schmalen
Gässchen, Durchgängen und Innenhöfen, die miteinander verbunden waren. Der Mann bog zielstrebig in dieses Labyrinth ein.
»Das wird nicht funktionieren. Wir überlassen ihn Deverell und gehen direkt zur Pall Mall. Dort werden wir die Verfolgung wieder aufnehmen.«
Leonora hatte ein unwohles Gefühl im Magen, als sie die Fährte des Mannes verließen und geradeaus weitergingen, wo dieser links eingebogen war. Als sie einige Häuser hinter sich gelassen hatten, wandte sie sich um und sah, wie Deverell in selbige Gasse einbog, um dem Mann zu folgen.
Sie erreichten die Pall Mall und schlenderten gemütlich den Gehweg entlang, während sie die Einmündungen der verschiedenen Gässchen genau im Auge behielten. Sie mussten nicht lange warten, ehe ihr Opfer wieder in Erscheinung trat und noch schnelleren Schrittes weitereilte.
»Er hat es eilig.«
»Er ist erregt«, entgegnete sie, überzeugt von der Richtigkeit ihrer Aussage.
»Kann sein.«
Tristan führte sie weiter. Südlich der Pall Mall kreuzten sich ihre Wege erneut mit denen Deverells, kurz darauf tauchten sie auf der Piccadilly in das Meer nachmittäglicher Spaziergänger ein, die über die beliebte Hauptstraße
Weitere Kostenlose Bücher