Eine skandalöse Versuchung
hineingefressen.
Sie hatte ihm seinen jüngsten Schachzug geradezu selbst vorgelegt. Er hatte ihrem Vorschlag, ihn nach Somerset House zu begleiten, bereitwillig zugestimmt, hätte ihr sogar selbst den Vorschlag gemacht, wäre sie ihm nicht zuvorgekommen - schließlich war diese Unternehmung ungefährlich.
Solange sie in seiner Nähe war, konnte ihr nichts passieren; wenn er sie aus den Augen ließe, sie ihren eigenen Plänen überließe, würde sie zweifellos versuchen, dem Problem - ihrem Problem, wie sie es nannte - auf andere Weise beizukommen. Ihr zu befehlen, ja, sie
zu zwingen, ihre Nachforschungen aufzugeben, lag derzeit außerhalb seiner Macht. Sie so oft es ging an seiner Seite zu haben, war daher die sicherste Vorgehensweise.
Während er die Strand hinunterfuhr, überfiel ihn eine schmerzhafte Erkenntnis. Seine Argumente klangen vollkommen logisch und rational. Doch der innere Zwang, den er mit derlei Argumenten lediglich zu rechtfertigen suchte, war nicht nur gänzlich neu, sondern zudem überaus beunruhigend. Verunsichernd. Die jähe Erkenntnis, dass das Wohlergehen einer Dame im vorgerückten Alter und mit höchst eigenständiger Denkweise für ihn urplötzlich oberste Priorität angenommen hatte, war geradezu schockierend.
Sie hatten Somerset House erreicht. Tristan überließ den Zweispänner seinem Stallburschen, und mit laut hallenden Schritten betraten sie den kühlen Steinbau. Ein Angestellter starrte sie von seinem Platz hinter der Empfangstheke aus an; Tristan erläuterte ihr Anliegen, woraufhin sie einen Gang hinunter in eine düstere Halle geschickt wurden. Streng angeordnete Reihen von hölzernen Aktenschränken füllten den gesamten Raum; ein jeder von ihnen besaß mehrere Schubladen.
Nachdem sie einem weiteren Angestellten erklärt hatten, wonach sie suchten, deutete dieser auf einige ausgewählte Schränke. Auf ihren polierten Holzfronten prangten in goldenen Lettern die Buchstaben »MOU«. »Ich würde Ihnen raten, dort anzufangen.«
Leonora ging zielstrebig auf die Schränke zu; Tristan folgte ihr langsam, während er sich über den Inhalt der Schubladen Gedanken machte, über die zahllosen Dokumente, die sich in jeder einzelnen von ihnen befinden mussten …
Seine Befürchtungen bestätigten sich, als Leonora die erste Schublade aufzog. »Großer Gott!« Sie starrte die Unmengen von Papier an, die man in diese eine Schublade hineingesteckt hatte. »Das kann ja Tage dauern!«
Er öffnete die Schublade neben ihr. »Wie gut, dass Sie mich unbedingt begleiten wollten.«
Mit einem unterdrückten Geräusch, das verdächtig nach einem
Schnauben klang, machte sie sich daran, die Namen zu überprüfen. Es war weitaus weniger schlimm, als sie zuerst befürchtet hatten; innerhalb kurzer Zeit hatten sie den ersten Mountford gefunden, wenn auch die ungeheure Anzahl gebürtiger Engländer mit diesem Namen überaus deprimierend war. Unbeirrt suchten sie weiter und stießen schließlich auf einen Montgomery Mountford.
»Aber«, Leonora starrte die Geburtsurkunde an, »demnach müsste der Mann dreiundsiebzig sein!«
Sie runzelte die Stirn, dann schob sie das Dokument zurück in die Schublade und untersuchte das nächste und das übernächste. Und das überübernächste.
»Es gibt insgesamt sechs«, murmelte sie; ihr resignierter Tonfall bestätigte seine Vorahnung. »Aber keiner von ihnen passt. Die ersten fünf sind zu alt, und der letzte hier ist dreizehn.«
Er legte flüchtig die Hand auf ihre Schulter. »Werfen Sie auch einen gründlichen Blick in die Nachbarschubladen, für den Fall, dass etwas falsch abgelegt wurde. Ich werde derweil noch einmal den Angestellten fragen.«
Während Leonora nachdenklichen Blicks weitere Dokumente durchblätterte, ging er hinüber zum Schreibtisch des leitenden Aufsehers. Nachdem einige leise Worte gewechselt waren, schickte dieser einen seiner Assistenten eilenden Schrittes davon. Drei Minuten später erschien ein gediegener Herr in der nüchternen Kluft eines Regierungsbeamten.
Tristan erklärte ihm, wonach sie suchten.
Mr Crosby verneigte sich. »Verstehe, Mylord. Ich bezweifle allerdings, dass er zu denjenigen Namen gehört, die geschützt sind. Wenn Sie erlauben, werde ich dies kurz überprüfen.«
Tristan machte eine bestätigende Handbewegung, und Crosby entfernte sich.
Leonora schob entnervt die Schubladen zu. Sie trat an Tristans Seite, und gemeinsam warteten sie darauf, dass Crosby zurückkehrte.
Er verneigte sich vor Leonora, dann
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