Eine skandalöse Versuchung
Wie um seine Behauptung zu untermauern, erstarb das lebhafte weibliche Geplapper, das kurzzeitig zu ihnen drang, auf der Stelle. Während er Leonora in den lang gestreckten Raum hineinführte, der sein großzügiges Licht von einer langen Fensterfront erhielt, die einen malerischen Blick auf ausgedehnte Rasenflächen und einen entfernten See freigab, war Leonora den unverhohlenen Blicken der acht Damen ausgesetzt - sie alle platzten geradezu vor Neugier.
Doch ihre Blicke waren keineswegs missbilligend.
Dies wurde spätestens deutlich, als Trentham - wie immer mit tadelloser Höflichkeit - Leonora zunächst seiner ältesten Großtante, Lady Hermine Wemyss, vorstellte. Lady Hermine strahlte sie freundlich an und hieß sie aufrichtig willkommen; Leonora knickste und erwiderte ihren Gruß.
In gleicher Weise wurde Leonora nach und nach allen Damen bekanntgemacht, deren runzlige Gesichter allesamt in verschiedener Ausprägung strahlten. Ebenso wie die sechs Damen in Trenthams Londoner Stadthaus waren die Damen hier aufrichtig entzückt, Leonoras Bekanntschaft zu machen. Ihr erster Verdacht, dass die alten Damen sich selten in gesellschaftliche Kreise wagten und daher jeden Besuch als willkommene Abwechslung sahen, wurde rasch zerschlagen; während sie sich in einen Lehnstuhl sinken ließ, den
Trentham ihr hingeschoben hatte, stürzte sich Lady Hortensia in einen ausführlichen Bericht über die jüngsten gesellschaftlichen Zusammenkünfte und den allgemeinen Trubel rund um das örtliche Kirchenfest.
»Wissen Sie, hier ist immer etwas los«, gestand Hortensia. »Es wird nie langweilig.«
Die anderen nickten zustimmend und ergänzten ihre Ausführungen mit allerlei Informationen über die hiesigen Sehenswürdigkeiten und die besonderen Vorzüge dieses Anwesens sowie des nahe gelegenen Ortes; dann forderten sie Leonora freundlich auf, etwas von sich zu erzählen.
Selbstsicher stand sie ihnen Rede und Antwort, erzählte von Humphrey und Jeremy und deren Betätigungen sowie von Cedrics Garten - eben die Dinge, die ältere Damen besonders interessierten.
Trentham war neben ihrem Stuhl stehen geblieben und hatte seine Hand auf dessen Rückenlehne gelegt; er trat nun einen Schritt zurück. »Wenn die Damen mich für eine Weile entschuldigen würden; wir sehen uns dann beim Mittagessen.«
Alle nickten und strahlten ihn an; Leonora sah zu ihm auf und suchte seinen Blick. Er nickte ihr zu, dann verlangte Lady Hermine seine Aufmerksamkeit; er beugte sich zu seiner Großtante hinunter. Leonora konnte nicht verstehen, was sie sagte. Trentham richtete sich mit einem Nicken auf, dann verließ er den Salon.
»Meine liebe Miss Carling, erzählen Sie uns doch …«
Leonora wandte sich wieder Hortensia zu.
Unter anderen Umständen hätte sie sich vielleicht im Stich gelassen gefühlt, doch in ihrer gegenwärtigen Gesellschaft war dies unmöglich. Die alten Damen gaben sich unverkennbar alle Mühe, sie angemessen zu unterhalten; Leonora konnte gar nicht anders, als hierauf einzugehen. Sie war sogar regelrecht fasziniert von den unzähligen kleinen Seitenbemerkungen über Trentham und dessen Vorgänger, Großonkel Mortimer. Sie konnte sich einigermaßen zusammenreimen, wie Trentham zu seinem Erbe gelangt war, und
Hermine erzählte ihr von der verbitterten Haltung ihres verstorbenen Bruders und dessen Entfremdung von der Trentham’schen Seite der Familie.
»Er hat immer behauptet, sie seien allesamt Prasser.« Hermine schnaubte verächtlich. »Völliger Unsinn. Er war schlichtweg neidisch, dass sie in der Weltgeschichte herumreisen konnten, während er das Familienanwesen hüten musste.«
Hortensia nickte weise. »Und Tristans Verhalten in den vergangenen Monaten hat deutlich bewiesen, wie sehr Mortimer sich mit seinem Urteil geirrt hat.« Sie sah Leonora an. »Tristan ist ein überaus verlässlicher Mann. Er würde seine Pflichten niemals vernachlässigen, welcher Art sie auch immer sein mögen.«
Diese Feststellung wurde durch allseitiges Nicken bekräftigt. Leonora hatte den Eindruck, dass mehr dahintersteckte, als die Worte oberflächlich verrieten. Doch bevor ihr eine geeignete Bemerkung einfiel, mit der sie auf taktvolle Weise hätte nachhaken können, wurde sie durch einen äußerst anschaulichen Bericht über den örtlichen Pfarrer und dessen Haushalt vom Thema abgebracht.
Ein Teil ihrer selbst fand durchaus Gefallen an diesem harmlosen Klatsch und Tratsch vom Lande, genoss diesen geradezu. Als schließlich der Butler
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