Eine skandalöse Versuchung
blickte er Tristan an. »Es ist
wohl so, wie Sie bereits vermutet haben, Mylord. Entweder es fehlt ein Dokument - was ich für höchst unwahrscheinlich halte - oder es gibt gar keinen Montgomery Mountford im Alter des Mannes, den sie suchen.«
Tristan bedankte sich und führte Leonora hinaus. Auf der Eingangstreppe blieben sie stehen, und Leonora drehte sich zu ihm um.
Ihre Blicke trafen sich. »Warum sollte er einen falschen Namen annehmen?«
»Weil«, er zog sich seine Kutschhandschuhe über und spürte wie sich seine Gesichtszüge unwillkürlich verhärteten, »dieser Mann nichts Gutes im Schilde führt.« Er griff erneut ihren Ellenbogen und schob sie vor sich die Treppe hinunter. »Kommen Sie, wir werden einen kleinen Ausflug machen.«
Er fuhr mit ihr in Richtung Surrey, zu seinem Landsitz Mallingham Manor, seinem neuen Zuhause. Er folgte einem spontanen Impuls in der Hoffnung, sie dadurch abzulenken, was seines Erachtens dringend nötig war. Ein Verbrecher mit falscher Identität verhieß beileibe nichts Gutes.
Von der Strand aus lenkte er die Kutsche in Richtung Süden und überquerte den Fluss, sodass Leonora den Richtungswechsel sofort bemerkte. Als er ihr jedoch erklärte, er müsse rasch einige Angelegenheiten auf seinem Anwesen erledigen, damit er danach in die Stadt zurückkehren und sich vollständig dem mysteriösen Montgomery Mountford widmen könne, nahm sie die Erklärung bereitwillig hin.
Die Straße war in hervorragendem Zustand und führte sie ohne Umwege ans Ziel; die Schimmel waren erholt und drängten darauf, sich bewegen zu können. Noch vor dem Mittagessen steuerte Tristan den Zweispänner durch die eleganten schmiedeeisernen Tore hindurch auf sein Anwesen. Während er sein Gespann die Zufahrt hinauflenkte, bemerkte er, wie Leonoras Blick wie gebannt auf das große Herrenhaus gerichtet war, das von gepflegten Rasenflächen
und geometrischen Parterreanlagen umrahmt wurde. Die kiesbedeckte Auffahrt endete in einem kreisförmigen Platz unmittelbar vor dem imposanten Eingangsportal.
Er folgte ihrem Blick; höchstwahrscheinlich sah er das Haus mit ähnlichen Augen wie sie, denn er musste sich selbst noch an den Gedanken gewöhnen, dass dies nun sein Haus - sein Zuhause - war. Das Anwesen existierte bereits seit Jahrhunderten, doch sein Großonkel hatte es mit großem Eifer verändern und renovieren lassen. Was sie nun vor sich sahen, war ein Herrenhaus im palladianischen Stil aus hellem Sandstein mit Dreiecksgiebeln über jedem der hohen Fenster und Zierzinnen oberhalb der lang gestreckten Fassade.
Die Schimmel trabten locker in den Hof. Leonora atmete hörbar aus. »Es ist wunderschön. So elegant.«
Er nickte und musste sich eingestehen, dass sie vollkommen recht hatte, dass sein Onkel durchaus einmal etwas richtig gemacht hatte.
Ein Stalljunge kam herbeigerannt, als Tristan gerade einen Fuß auf den Boden setzte. Er übergab die Zügel seinem mitgefahrenen Stallburschen und half Leonora aus der Kutsche, um sie die Treppe zum Eingang hinaufzuführen.
Clitheroe, der ehemalige Butler seines Großonkels und nun sein eigener, öffnete die Tür, noch bevor sie sie erreicht hatten, und lächelte sie in seiner gewohnt herzlichen Art an. »Willkommen, Mylord.« Sein Lächeln galt auch Leonora.
»Clitheroe, ich möchte Ihnen Miss Carling vorstellen. Wir werden hier zu Mittag essen; danach werde ich mich um einige geschäftliche Dinge kümmern, bevor wir in die Stadt zurückfahren.«
»Sehr wohl, Mylord. Soll ich den Damen des Hauses Bescheid geben?«
Während Tristan seinen Paletot ablegte, unterdrückte er ein zynisches Grinsen. »Nicht nötig. Ich werde Miss Carling selbst zu ihnen führen und sie einander bekannt machen. Ich nehme an, sie befinden sich zurzeit im Frühstückssalon?«
»Jawohl, Mylord.«
Er nahm Leonora die Pelisse von den Schultern und reichte sie Clitheroe. Er legte ihre Hand auf seinen Arm und deutete mit der anderen auf das gegenüberliegende Ende der Eingangshalle. »Ich glaube, ich erwähnte bereits, dass einige ältere Damen - enge und entferntere Verwandte - hier bei mir leben?«
Sie sah ihn an. »Das haben Sie durchaus. Sind es ebenfalls Cousinen von Ihnen?«
»Unter anderem, aber die herausragendsten Persönlichkeiten unter ihnen sind eindeutig meine beiden Großtanten Hermine und Hortensia. Zu dieser Tageszeit halten sie sich stets im Frühstückssalon auf.« Er begegnete ihrem Blick. »Zum Tratschen.«
Er schwieg und öffnete schwungvoll eine Tür.
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