Eine Spur von Lavendel (German Edition)
kommen, Onkel Alex?“
„Jederzeit. Du kannst kommen, wann immer du willst, Richie.“
„Kann ich auch …“ Der Junge brach ab. Offensichtlich kämpfte er mit den Tränen.
Auch Alexander schluckte heftig und ließ sich auf die Bettkante sinken. „Was wolltest du mich fragen?“
„Ach nichts. Es ist nicht so wichtig.“
„Du solltest doch inzwischen wissen, dass du alles mit mir besprechen kannst, Kumpel.“
Richards Augen hefteten sich auf Alexanders große Hand, die sich über seine kleine Faust geschoben hatte. „Mama hat immer gesagt, dass du ein ganz besonders tapferer und mutiger Mann bist, Onkel Alex.“
„Hat sie das?“
Verdammt, Reny!
„Ja. Und ich will immer genauso tapfer und mutig sein wie du.“
Alexander fluchte noch ein weiteres Mal still in sich hinein und machte einen tiefen Atemzug. Herrje, ich mutiere hier noch zur Heulboje, wenn ich nicht aufpasse.
„Du bist der tapferste und mutigste Junge, der mir je begegnet ist, Richard. Und glaub mir, es ist auch für den tapfersten und mutigsten Jungen absolut okay, wenn er mal weinen muss. Ich weine auch manchmal, Richard.“
Das Gesicht des Jungen wurde von einem erleichterten Lächeln erhellt. „Gute Nacht, Onkel Alex.“
„Schlaf gut, mein tapferer Freund.“
Mit langsamen Schritten stieg Alexander die Treppe hinab. Unten angekommen, blieb er vor der Küchentür stehen und rieb sich mit beiden Händen kräftig über das Gesicht. Das ungute Gefühl in seiner Magengegend nahm zu.
In der Küche war es still. Claudine, Linda und Tobias saßen stumm am Tisch und tranken Wein.
Alexander strich Linda im Vorbeigehen sanft über das Haar und griff sofort nach seinen Zigaretten, während er sich neben ihr niederließ. Dann fiel ihm plötzlich schmerzlich ein, dass er die gleiche Szene bei Henri und Adrienne beobachtet hatte, als er im vergangenen Spätsommer allein hier gewesen war. Dankbar nahm er das volle Weinglas entgegen, das Tobias ihm zuschob. Mit seinen Nerven stand es wahrlich nicht zum Besten. „Wir sollten uns endlich über die Kinder unterhalten, Mama“, stieß er fast grob hervor.
Zunächst erschrocken, dann verständnisvoll schaute sie ihn an. Schließlich schob sie ihren Stuhl zurück und stand auf. „Ich weiß ja nicht, wie es euch geht, aber mir ist nach einer schönen Tasse Milchkaffee“, sagte sie mit seltsam zitternder Stimme, die ihren Sohn aufhorchen ließ.
Lindas Augen wanderten von ihrer Schwiegermutter zu Alexander. Dann warf sie Tobias einen fragenden Blick zu. Der zuckte aber nur leicht mit den Schultern.
„Claudine, setz dich wieder hin und rede endlich mit mir“, drängte Alexander mit deutlichem Nachdruck. „Im Augenblick braucht hier niemand einen Kaffee, verdammt noch mal!“
Sekundenlang starrten sich Mutter und Sohn in die Augen. Claudine hatte immer gewusst, dass ihr Sohn die sichere Nase eines Bluthundes entwickelt hatte, einen todsicheren Instinkt, auf den er sich nur allzu gern verließ. Worüber wundere ich mich also, fragte sie sich. Sie hätte von vornherein wissen müssen, dass sie ihm nicht lange etwas verheimlichen konnte. „Ich bin … gleich wieder da.“ Claudine verließ die Küche, kam allerdings schon in derselben Minute mit einem großen beigefarbenen Umschlag wieder zurück. „Die … die Kinder, sie werden bei dir leben, Alexander.“
„Was?“ Automatisch huschte sein Blick zu Linda, die ihn aus großen Augen anstarrte.
„Henri und Adrienne haben gleich nach Nicoles Geburt alles Erforderliche dafür in die Wege geleitet, damit du keine Probleme mit den Behörden bekommst, falls …“
„Was soll das heißen?“
„Nun, es ist … sozusagen testamentarisch festgelegt, dass du die Kinder adoptieren kannst, selbst wenn du weiterhin alleinstehend geblieben wärest. Vorausgesetzt natürlich, dass du damit einverstanden bist. Ein entsprechendes Schriftstück liegt bei einem Notar in Toulon. Außerdem …“ Claudine sank erschöpft auf einen Stuhl und fuhr sich durchs Haar.
Alexander fühlte Lindas Hand auf seinem Schenkel und griff automatisch danach.
„Du weißt, dass ich damit einverstanden wäre“, flüsterte sie ihm zärtlich zu.
Er hob seine Hand und strich leicht über die weichen Spitzen ihres Haares. Dann glitt sein Blick zurück zu seiner Mutter. Sämtliche Nervenenden in seinem Körper schienen nun unangenehm zu vibrieren. Dieses stechende Gefühl unter seiner Haut war ihm durchaus vertraut, er wusste aus Erfahrung, dass es sich um sein ganz
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