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Eine Spur von Verrat

Eine Spur von Verrat

Titel: Eine Spur von Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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besten Jahre von einer Frau gestohlen worden sind, die nicht ganz bei Trost war. Du wirst unseren Kummer nicht noch verstärken, indem du verrückte, nervenaufreibende Äußerungen von dir gibst. Habe ich mich klar ausgedrückt?«
    Edith öffnete den Mund, um zu protestieren, doch plötzlich schien sie jede Streitlust verlassen zu haben. Sie sah den gequälten Ausdruck im Gesicht ihrer Mutter, und ihre eigenen Wünsche wurden von Mitleid und Schuldbewußtsein überrollt. All die Argumente, deren sie sich vor einer Stunde im Gespräch mit Hester auf ihrem Zimmer noch so sicher gewesen war, lösten sich in Wohlgefallen auf.
    »Ja, Mama, ich…« Sie atmete seufzend aus.
    »Ausgezeichnet!« Felicia aß weiter. Es gelang ihr nur mit Mühe, sich zum Schlucken zu zwingen.
    »Muß mich entschuldigen, Hargrave«, meinte Randolf stirnrunzelnd. »War ein harter Schlag für die Familie. Kummer bewirkt bei Frauen komische Dinge – bei den meisten jedenfalls. Felicia ist da anders – bemerkenswert stark. Eine beeindruckende Frau, wenn ich so sagen darf.«
    »Sehr beeindruckend.« Hargrave nickte Felicia zu und schenkte ihr ein gewinnendes Lächeln. »Sie haben meine größte Hochachtung, Ma’am; das war schon immer so.«
    Felicia errötete kaum merklich und nahm das Kompliment mit einer schwachen Kopfbewegung zur Kenntnis.
    Außer haarsträubend nichtssagenden und gekünstelten Banalitäten fiel kein weiteres Wort.
    Nachdem es endlich vorbei war, jedermann die Tafel verlassen, Hester sich bei Felicia bedankt und von den anderen verabschiedet hatte, gingen sie und Edith wieder nach oben. Edith war sichtlich am Boden zerstört; sie ließ die Schultern hängen und stapfte mit bleischweren Schritten die Treppe hinauf.
    Sie tat Hester unglaublich leid. Ihr war sonnenklar, warum Edith sich nicht zur Wehr gesetzt hatte. Der Anblick des fassungslosen Gesichts ihrer Mutter hatte das Gefühl in ihr geweckt, brutal und unmenschlich zu sein. Sie war nicht imstande gewesen, ihr einen weiteren Schlag zu versetzen, noch dazu vor den anderen, die ihre erste Niederlage bereits mitangesehen hatten.
    Doch ein Trost war das kaum. Die Aussicht auf endlose Mahlzeiten, die sich nicht voneinander unterscheiden und wenig mehr als eine Verpflichtung darstellen würden, war ermüdend und trist. Die Welt, in der man sich bemühte und dafür eine Belohnung bekam, blieb ihr verschlossen. Es war, als hätte sie versucht in ein Fenster zu schauen, und drinnen zog jemand die Vorhänge zu.
    Sie hatten soeben den ersten Treppenabsatz erreicht, als sie beinah im Laufschritt – von einer älteren Frau mit wehendem schwarzem Rock überholt wurden. Sie war sehr schlank, fast hager, und mindestens so groß wie Hester. Früher einmal mußte ihr Haar kastanienbraun gewesen sein, jetzt war es nahezu weiß; nur ihr Teint verriet die ursprüngliche Farbe. Die dunkelgrauen Augen waren wachsam, die Brauen finster zusammengezogen. Das schmale, höchst eigenwillige Gesicht kochte vor Wut.
    »Hallo, Buckie«, rief Edith fröhlich. »Wohin so eilig? Wieder mit der Köchin gestritten, was?«
    »Ich streite mich nicht mit der Köchin, Miss Edith«, gab die Dame brüsk zurück. »Ich sage ihr nur, was sie ohnehin wissen müßte. Sie nimmt’s mir trotzdem übel, auch wenn ich recht habe, und dann verliert sie die Beherrschung. Ich kann Frauen nicht leiden, die sich nicht unter Kontrolle haben – schon gar nicht, wenn sie im Dienst sind.«
    Edith unterdrückte ein Grinsen. »Buckie, du kennst meine Freundin, Miss Latterly, noch nicht. Miss Latterly war mit Florence Nightingale auf der Krim. Hester. das ist Miss Buchan, meine Gouvernante – vor langer Zeit.«
    »Sehr erfreut, Miss Buchan«, sagte Hester interessiert. »Sehr erfreut, Miss Latterly«, gab diese zurück, verzog das Gesicht und starrte Hester neugierig an. »Auf der Krim, hm? Soso. Edith muß mir bei Gelegenheit davon erzählen. Jetzt bin ich gerade auf dem Weg zu Master Cassian ins Schulzimmer.«
    »Du wirst ihn doch nicht unterrichten, Buckie, oder?« fragte Edith erstaunt. »Ich dachte, das hättest du schon vor Jahren aufgegeben!«
    »Ja, was denn sonst«, entgegnete Miss Buchan scharf. »Sie glauben doch wohl nicht, daß ich in meinem Alter wieder das Unterrichten anfange? Ich bin Sechsundsechzig, wie Sie sehr genau wissen. Ich habe Ihnen selbst das Rechnen beigebracht, genau wie davor Ihrem Bruder und Ihrer Schwester!«
    »Ist Dr. Hargrave nicht mit ihm nach oben gegangen, um ihm den Globus zu zeigen?«
    Miss

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