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Eine Spur von Verrat

Eine Spur von Verrat

Titel: Eine Spur von Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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und sie erhielt nur deshalb einen Platz, von dem aus sie alle Vorgänge verfolgen konnte, weil Monk ihn ihr freigehalten hatte.
    Der Gerichtssaal war kleiner als erwartet und hatte eine höhere Decke. Mit der Zuschauergalerie hoch über der Anklagebank, die sich ihrerseits bereits vier bis fünf Meter über dem Boden befand, wo die mit Lederpolstern ausgestatteten Stühle der Anwälte und Gerichtsdiener im rechten Winkel zu ihr standen, erinnerte er mehr an ein Theater.
    Die Geschworenen waren links von der Galerie einige Stufen über dem Boden auf zwei hintereinander aufgestellten Bänken untergebracht, im Rücken eine Fensterreihe. Am anderen Ende derselben Wand befand sich der Zeugenstand, ein seltsames Gebilde, zu dem ebenfalls mehrere Stufen hinaufführten, so daß es ausgesprochen gut exponiert über der Arena schwebte.
    An der Stirnwand, gegenüber von Galerie und Anklagebank, stand der rotlederne Stuhl des Richters. Rechts davon lag eine zweite Galerie für Schaulustige, Zeitungsleute und andere Neugierige.
    Das Äußere von Zeugenstand und Anklagebank, die Wand hinter den Geschworenen und der gesamte Bereich zwischen Anklagebank und dem Geländer der Zuschauergalerie waren mit Holz vertäfelt. Das Ganze wirkte überaus eindrucksvoll, erinnerte so gut wie gar nicht mehr an einen gewöhnlichen Raum und war momentan derart mit Menschen überfüllt, daß man sich nur unter größten Schwierigkeiten bewegen konnte.
    »Wo haben Sie bloß gesteckt?« fragte Monk aufgebracht.
    »Sie sind ziemlich spät dran.«
    Hester schwankte zwischen einer bissigen Antwort und aufrichtiger Dankbarkeit, weil er an sie gedacht hatte. Ersteres wäre sinnlos gewesen und hätte nur einen Streit in Gang gebracht, was sie jetzt am allerwenigsten brauchen konnte, also entschied sie sich für letzteres, was ihn erstaunte und amüsierte.
    Die Anklageschrift war der Anklagejury bereits zu einem früheren Zeitpunkt verlesen worden. Man hatte die Anklage für recht befunden und Alexandra offiziell der Gerichtsbarkeit überstellt.
    »Was ist mit den Geschworenen?« erkundigte sich Hester.
    »Sind sie schon ausgesucht worden?«
    »Am Freitag«, erwiderte Monk. »Die armen Teufel.«
    »Warum arm?«
    »Weil ich nicht gern über diesen Fall entscheiden würde. Ich glaube nicht, daß ich ein objektives Urteil fällen könnte.«
    »Nein«, bestätigte Hester, mehr sich selbst als ihm. »Wie sind sie?«
    »Die Geschworenen? Ganz normale, besorgte Leute, die sich selbst äußerst ernst nehmen«, gab Monk zurück, ohne sie dabei anzusehen. Sein Blick glitt über das Pult des Richters und die Bänke der Anwälte unter ihnen.
    »Alle mittleren Alters, nehme ich an? Und natürlich keine einzige Frau?«
    »Sie sind nicht alle mittleren Alters. Ein oder zwei sind jünger, einer ist schon sehr alt. Man muß zwischen einundzwanzig und sechzig Jahre alt sein, über ein gesichertes Einkommen aus Pachtgeldern oder Ländereien verfügen oder in einem Haus mit mindestens fünfzehn Fenstern wohnen…«
    »Was?«
    »Mit mindestens fünfzehn Fenstern«, wiederholte Monk und warf ihr von der Seite her ein sardonisches Grinsen zu.
    »Außerdem versteht sich doch von selbst, daß keine Frau dabei ist. Die Frage ist Ihrer wirklich nicht würdig. Frauen werden nicht für fähig gehalten, solche Entscheidungen zu treffen, um Himmels willen. Sie treffen überhaupt keine juristischen Entscheidungen, verfügen über keinerlei Eigentum und rechnen doch wohl nicht damit, vor dem Gesetz über das Schicksal eines Menschen befinden zu können oder etwa doch?«
    »Wenn man einen Anspruch darauf hat, im Beisein einer Jury aus Gleichgesinnten vor Gericht zu stehen, gehe ich auch davon aus, über das Schicksal einer Frau entscheiden zu können«, entgegnete sie scharf. »In erster Linie erwarte ich jedoch, Frauen unter den Geschworenen zu sehen, falls ich einmal vor Gericht stehen sollte. Wie sonst könnte mir ein gerechtes Urteil zuteil werden?«
    »Ich glaube nicht, daß Sie mit Frauen mehr Glück hätten«, sagte er, schnitt ein finsteres Gesicht und starrte auf ein fettes Weib, das vor ihnen saß. »Und selbst wenn es so wäre, würde es jetzt keine Rolle spielen.«
    Hester wußte, daß es momentan unerheblich war, denn an den Geschworenen ließ sich nichts mehr ändern; sie mußten den Fall auch so durchkämpfen. Sie ließ ihren Blick über die Menge schweifen. Es waren alle Sorten von Menschen vertreten, jedes Alter und jede Gesellschaftsschicht, fast ebensoviele Frauen wie

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