Eine Spur von Verrat
Männer. Nur eins hatten sie alle gemeinsam – sie waren unverhohlen unruhig, tuschelten miteinander, traten von einem Bein aufs andere, sofern sie standen, oder verrenkten sich den Hals, um auf keinen Fall etwas zu verpassen, falls sie saßen.
»Eigentlich dürft ich gar nich hier sein«, ließ sich da eine weibliche Stimme direkt hinter Hester vernehmen. »Is bestimmt nich gut für meine Nerven. So was Niederträchtiges is mir noch nie untergekommen – und dann auch noch ‘ne feine Dame! Dabei sollte man doch denken, die wissen, wie man sich benimmt.«
»Allerdings«, stimmte ihre Begleiterin zu. »Wenn sich jetzt schon der Adel gegenseitig um die Ecke bringt, was tunse dann erst in den unteren Schichten, frag’ ich dich?«
»Wie sie wohl is? Sicher richtig ordinär! Die muß bestimmt baumeln.«
»Klar. Sei doch nich blöd, was sollnse sonst mit ihr machen.«
»Genau. Is ja selber schuld.«
»Eben. Mein Mann benimmt sich auch mal daneben, deshalb bring’ ich ihn aber noch lange nich um!«
»Nee, natürlich nich. Macht doch niemand. Wo würden wir denn da hinkommn?«
»Grauenhaft is das. Und in Indien soll’s angeblich auch Aufstände geben. Überall fallen die Leute übereinander her und bringen sich um. Wir leben in ganz schlimmen Zeiten, das sag’ ich dir aber. Gott allein weiß, was als nächstes kommt!«
»Das kannste laut sagen«, bekräftigte ihre Nachbarin mit grimmigem Nicken.
Hester hätte ihnen am liebsten an den Kopf geworfen, sie sollten nicht so dumm sein, es habe schon immer Tapferkeit und Tragödien, Gelächter, Entdeckungen und Hoffnung gegeben, doch in diesem Moment rief der Gerichtsdiener zur Ordnung. Von aufgeregtem Stoffrascheln begleitet, betraten der Staatsanwalt und sein Beisitzer den Saal. Wilberforce Lovat-Smith, angetan mit klassischer Perücke und schwarzer Robe, war kein großer Mann, doch sein Gang verriet Selbstvertrauen, fast eine Spur Arroganz, zudem eine unglaubliche Vitalität, so daß man seine Gegenwart augenblicklich intensiv wahrnahm. Er hatte einen auffallend dunklen Teint, und man konnte deutlich erkennen, daß das Haar unter der weißen Roßhaarperücke pechschwarz war. Trotz der Entfernung sah Hester überrascht, was für stechend graublaue Augen er hatte, als er sich umdrehte. Man konnte ihn bestimmt nicht als gutaussehend bezeichnen, doch er hatte eine gewisse Anziehungskraft. Seine scharf geschnittene Nase, der humorvolle Mund und die schweren Augenlider deuteten auf Sinnlichkeit hin. Es war das Gesicht eines Menschen, der bereits in der Vergangenheit Erfolg gehabt hatte und gedachte, das auch in Zukunft zu tun.
Er hatte sich kaum hingesetzt, als ein erneutes aufgeregtes Raunen durch die Reihen ging. Diesmal war es Rathbone, der hereinkam, ebenfalls in Gewand und Perücke, gefolgt von einem Praktikanten. Auf Hester, die ihn in letzter Zeit nur dann gesehen hatte, wenn er Straßenkleidung trug und sich vollkommen zwanglos benahm, wirkte er regelrecht fremd. Er war offenkundig voll und ganz auf den bevorstehenden Kampf konzentriert, von dem nicht nur Alexandras Leben abhing, sondern vielleicht auch das weitere Wohlergehen ihres Sohnes Cassian. Hester und Monk hatten alles versucht, jetzt lag es bei ihm. Wie ein einsamer Gladiator stand er in der Arena, umgeben von einer Meute blutgieriger Gaffer. Erst als er sich umdrehte, erkannte sie das vertraute Profil mit der langen Nase und dem sensiblen Mund, der so schnell von Mitleid zu Wut und dann wieder zu trockenem Humor wechseln konnte.
»Gleich geht’s los«, flüsterte es irgendwo hinter ihnen. »Das is der Verteidiger. Rathbone. Wasser wohl vorbringn will?«
»Gar nix kanner vorbringn.« Die Antwort kam von einem Mann weiter links. »Weiß gar nich, wieso er sich überhaupt die Mühe macht. Aufhängen sollnse die, der Regierung das Geld sparn.«
»Uns, besser gesagt.«
»Sssch!«
»Selber sssch!«
Monk wirbelte herum. »Wenn Sie keine Verhandlung wollen, sollten Sie vielleicht Ihren Platz für jemand freimachen, der es tut«, zischte er böse. »Es gibt genügend Schlachthöfe in London, falls Sie nur Blut sehen wollen.«
Ein wütendes Keuchen erklang.
»Wie können Sie’s wagen, so mit meiner Frau zu sprechen?« versetzte der Mann.
»Ich habe mit Ihnen gesprochen, mein Herr«, parierte Monk.
»Ich nehme an, Sie sind selbst für ihre Ansichten zuständig.«
»Haltet endlich die Klappe!« rief irgend jemand wütend.
»Sonst fliegen wir noch alle raus. Der Richter kommt rein!«
Und in der
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