Eine Spur von Verrat
plötzliche Nervosität waren ihnen verborgen geblieben.
Sogar die Menge blieb ausnahmsweise stumm.
Ein weniger fähiger Kopf als Lovat-Smith hätte Einspruch erhoben, aber er war sich völlig im klaren, daß er dadurch nur seine eigene Unsicherheit preisgeben würde.
»Verraten Sie uns doch bitte, Dr. Hargrave«, fuhr Rathbone ungerührt fort, »wie einem beim Reinigen ein Messer so aus der Hand rutschen kann, daß der Schnitt von unten nach oben verläuft, vom Knie zum Lendenbereich? Vielleicht hätten Sie ja nichts dagegen, uns einmal zu demonstrieren, welcher Bewegungsablauf Ihnen vorschwebte, als Sie seinem – hm – Bericht Glauben schenkten? Sie können vermutlich auch erklären, warum sich ein Mann mit seinem militärischen Hintergrund beim Reinigen eines Messers derart ungeschickt angestellt hat? Bei seinem Dienstgrad hätte ich mir mehr erwartet.« Er zog die Brauen zusammen. »Ein so gewöhnlicher Mensch wie ich besitzt nicht einmal irgendwelche Zierdolche oder -messer, aber mein Tafelsilber und meine Stiefel putze ich auch nicht selbst.«
»Ich weiß nicht, warum er es gereinigt hat«, erwiderte Hargrave und lehnte sich, die Kante fest umklammernd, über die Brüstung des Zeugenstands. »Aber da er derjenige war, der den Unfall verursacht hatte, kam ich gar nicht auf die Idee, seine Worte anzuzweifeln. Vielleicht war er gerade deshalb so ungeschickt, weil er es für gewöhnlich nicht reinigte.«
Er hatte einen Fehler gemacht und war sich dessen sofort bewußt. Den Versuch, es zu rechtfertigen, hätte er besser unterlassen sollen.
»Sie können unmöglich wissen, ob er den Unfall selbst verursacht hat, wenn es denn ein Unfall war«, stellte Rathbone übertrieben höflich fest. »Was Sie in Wirklichkeit sagen wollten, war gewiß, daß er derjenige war, der die Verletzung davontrug, oder?«
»Drehen Sie’s, wie Sie wollen«, gab Hargrave schroff zurück.
»Für mich ist das Haarspalterei.«
»Und wie, bitte, soll er das Messer gehalten haben, um sich eine solche Wunde zuzufügen, wie sie uns derart anschaulich von Ihnen beschrieben worden ist?« Rathbone hob eine Hand, als halte er ein Messer fest, und vollführte versuchsweise diverse Verrenkungen, bei denen er sich alle Mühe gab, sich von unten nach oben aufzuschlitzen. Es war ein Ding der Unmöglichkeit, und im Gerichtssaal wurde nervöses Gelächter laut. Rathbone blickte fragend zu Hargrave hoch.
»Schon gut!« fuhr dieser ihn an. »Es kann sich nicht so abgespielt haben, wie er es dargestellt hat. Was wollen Sie eigentlich andeuten? Daß Alexandra versuchte, ihn zu erstechen? Es ist doch bestimmt Ihr Anliegen, sie zu verteidigen, und nicht doppelt und dreifach dafür zu sorgen, daß sie gehängt wird!«
Der Richter beugte sich mit wütender Miene vor und sagte scharf: »Ihre Bemerkungen sind unzulässig und äußerst fragwürdig. Sie werden sie sofort zurückziehen.«
»Selbstverständlich, ich bitte um Entschuldigung. Aber ich denke, es ist Mr. Rathbone, den Sie zur Ordnung rufen sollten. Offenbar ist er für Mrs. Carlyons Verteidigung nicht der richtige Mann.«
»Das bezweifle ich. Ich kenne Mr. Rathbone seit vielen Jahren. Falls er sich jedoch tatsächlich als untauglich erweisen sollte, darf die Angeklagte dahingehend gern Beschwerde einlegen.« Er schaute zu Rathbone hinüber. »Bitte, fahren Sie fort.«
»Danke, Euer Ehren.« Er verbeugte sich leicht. »Nein, Dr. Hargrave, ich wollte keineswegs andeuten, daß Mrs. Carlyon ihren Ehemann zu erstechen versuchte. Ich wollte deutlich machen, daß er Sie bezüglich der Herkunft der Wunde belogen und jemand anders sie ihm zugefügt hat. Weitere Andeutungen zum Thema wer und warum folgen zu einem späteren Zeitpunkt.«
Wieder ertönte ein gespanntes Rascheln aus der Richtung der Geschworenenbänke, und ein erster Anflug von Zweifeln glitt über die Gesichter der Juroren. Zum erstenmal bestand für sie ein echter Anlaß, den Fall, wie Lovat-Smith ihn präsentiert hatte, in Frage zu stellen. Es war zwar nur ein Schimmer, ein kaum merkliches Aufflackern, aber es war da.
Hargrave war im Begriff, den Zeugenstand zu verlassen.
»Einen Moment noch, Dr. Hargrave«, sagte Rathbone schnell.
»Was hatte General Carlyon an, als Sie ins Haus gerufen wurden, um diese höchst unangenehme Wunde zu versorgen?«
»Wie bitte?«
»Was hatte General Carlyon an?« wiederholte Rathbone.
»Welche Kleidung trug er?«
»Ich weiß es nicht mehr. Um Himmels willen, was spielt das für eine
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