Eine Spur von Verrat
vereint gegen den Rest der Welt. Selbst Edith Sobell war dabei gewesen und hatte ihrem Vater immer wieder besorgte Blicke zugeworfen. Nur Felicia befand sich im Gerichtssaal, weil sie keine Vorladung bekommen hatte und dem Prozeß infolgedessen beiwohnen durfte. Sie war hinter ihrem dichten Schleier leichenblaß und so starr wie eine Statue.
Es war zwingend notwendig herauszufinden, wer außer dem General und seinem Vater noch an der Päderastie beteiligt war. Cassian hatte gesagt »andere«, also nicht nur sein Großvater. Wer? Wer hatte die Möglichkeit, den Jungen an einem Ort zu treffen, der für ein solches Beisammensein abgeschieden genug war? Denn diese Voraussetzung war unerläßlich; sie durften auf keinen Fall beobachtet werden. Wer etwas Derartiges im Sinn hatte, setzte sich kaum dem Risiko aus, auf frischer Tat ertappt zu werden.
Die Zeugenbefragung nahm unterdessen ihren Fortgang, ohne daß Monk etwas davon mitbekam.
Wieder die Familie? Peverell Erskine? War das die grauenhafte Entdeckung, die Damaris an jenem Abend gemacht hatte, als sie derart schockiert gewesen war, daß sie sich nicht mehr unter Kontrolle hatte? Nachdem sie Valentine Furnival gesehen hatte, war sie in einem Zustand hinuntergekommen, der an Hysterie grenzte. Weshalb? Hatte sie erfahren, daß ihr Ehemann seinen Neffen sexuell mißbrauchte? Aber was konnte sich dort oben abgespielt haben, das ihr diese Ungeheuerlichkeit verriet? Peverell war die ganze Zeit unten gewesen, das hatten die anderen beschworen. Gesehen haben konnte sie folglich nichts. Und Cassian befand sich nicht einmal im Haus.
Sie mußte aber irgend etwas gehört oder gesehen haben. Es war doch bestimmt kein Zufall, daß es ausgerechnet am Abend des Mordes geschehen war? Nur was? Was hatte sie herausgefunden?
Fenton Pole war ebenfalls zugegen gewesen. War er der dritte, der Cassian mißbrauchte, und somit der Grund für Sabellas Haß?
Oder war es Maxim Furnival? Beruhte die Beziehung zwischen ihm und dem General nicht nur auf einem gemeinsamen geschäftlichen Interesse, sondern auch auf der gemeinsamen Vorliebe für ein bestimmtes Laster? War das der Grund für die häufigen Besuche des Generals gewesen und hatte womöglich gar nichts mit Louisa zu tun? Was für eine perfekte Ironie! Kein Wunder, daß die Situation für Alexandra eines gewissen bitteren, grausigen Humors nicht entbehrte.
Aber sie hatte nicht gewußt, daß es noch jemanden gab. Durch den Mord an ihrem Mann hatte sie dem Ganzen ihrer Meinung nach ein Ende bereitet und Cassian vor weiteren sexuellen Übergriffen bewahrt. Sie wußte von niemandem, auch nicht vom alten Colonel.
Evan beantwortete soeben eine Frage von Rathbone, die im Grunde überflüssig gewesen war, denn er bestätigte lediglich, daß er keinerlei Grundlage für die Eifersucht gefunden hatte, die von Alexandra ohnehin abgestritten wurde, und er selbst nicht recht daran glaubte.
Monks Gedanken verselbständigten sich erneut. Diese eigenartige Wunde am Bein des Generals. Bestimmt war Cassian derjenige gewesen, der sie ihm beigebracht hatte? Nach allem, was Hester ihm von ihrer Unterhaltung mit dem Jungen sowie ihrem persönlichen Eindruck erzählt hatte, stand er dem Mißbrauch mit gemischten Gefühlen gegenüber. Er wußte nicht genau, ob das, was er tat, nun richtig war oder falsch, hatte Angst, die Liebe seiner Mutter zu verlieren, sah sich zu Heimlichtuerei gezwungen, die er teilweise genoß, fühlte sich einerseits geschmeichelt und hatte andererseits Angst, aber anscheinend war es nicht so, daß er es ganz und gar verabscheute. Selbst als er das Ungeheuerliche beim Namen nennen mußte, wurde er von einem Schauder der Erregung gepackt, von dem prickelnden Gefühl, in die Erwachsenenwelt miteinbezogen worden zu sein, mehr zu wissen als andere.
Ob er jemals bei den Furnivals gewesen war? Sie hätten sich danach erkundigen sollen – wie dumm von ihnen.
»Hat der General Cassian schon mal zu den Furnivals mitgenommen?« flüsterte er Hester ins Ohr, die neben ihm saß.
»Nicht, daß ich wüßte. Warum?«
»Der dritte Päderast«, erwiderte er kaum hörbar. »Wir müssen herausbekommen, wer es ist.«
»Maxim Furnival?« fragte Hester bestürzt und eine Spur lauter als beabsichtigt.
»Ruhe da vorn!« zischte eine aufgebrachte Stimme.
»Warum nicht?« gab Monk zurück. Er beugte sich zu ihr hinüber, damit sie sein Wispern verstehen konnte. »Es muß jemand sein, der den Jungen regelmäßig und in aller Abgeschiedenheit gesehen
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