Eine Spur von Verrat
selbst mit diesen Worten genauso weh wie ihr, und sie waren sich beide darüber im klaren. »Denken Sie vielleicht, der Betreffende sieht wie ein Monster aus? Es war keinerlei Gewalt im Spiel, kein Haß, keine Gier – wir haben es hier mit einem Mann zu tun, der lediglich nie erwachsen genug geworden ist, um echte Nähe zu seiner gleichaltrigen Frau aufbauen zu können, der sich nur bei einem Kind sicher fühlt, das weder seine charakterlichen Unzulänglichkeiten bemerkt noch begreift, wie tolpatschig und unreif er sich benimmt.«
»Das klingt ja fast so, als ob ich Mitleid für ihn empfinden müßte!« warf Hester ihm aufgebracht vor, aber sie war nicht sicher, ob ihr Entsetzen nun tatsächlich Monk, dem Mißbrauch oder der ganzen vertrackten Situation galt – oder ob sie den Täter vielleicht nicht doch unterschwellig zutiefst bedauerte.
»Es ist mir egal, was Sie empfinden«, log Monk zurück. »Für mich zählt nur, was Sie denken. Bloß weil Peverell Erskine ein netter Mensch ist und seine Frau ihn liebt, muß er nicht frei von Fehlern sein, die ihn – und andere – zerstören!«
»Ich glaube einfach nicht, daß Peverell dazu imstande ist«, beharrte sie störrisch, ohne allerdings einen Grund dafür zu nennen.
»In meinen Augen ist das schlicht und einfach dumm!« fuhr er sie an und war sich seines heimlichen Grolls, dem er lieber keinen konkreten Namen gab, dabei durchaus bewußt. »Wenn Sie auf diesem Intelligenzniveau weitermachen, sind Sie bestimmt keine große Hilfe.«
»Ich habe gesagt, ich glaube es nicht!« konterte sie genauso erbost. »Ich habe nicht gesagt, daß ich der Möglichkeit nicht nachgehen würde.«
»Ach ja?« Er hob spöttisch die Brauen. »Und wie?«
»Über Damaris natürlich«, entgegnete sie mit Todesverachtung. »Sie hat an jenem Abend etwas herausgefunden – etwas, das sie maßlos erschreckt hat. Haben Sie das etwa vergessen? Oder dachten Sie vielleicht ich?«
Monk starrte sie an und wollte gerade mit einer ähnlich bissigen Bemerkung parieren, als die Tür aufging, Major Tiplady ins Zimmer kam und verkündete, daß es in etwa einer halben Stunde Abendessen geben würde; dicht hinter ihm folgte Molly mit einem riesigen Teetablett. Es war eine ausgezeichnete Gelegenheit, den Ton um hundertachtzig Grad zu ändern, und so wurde er schlagartig überaus charmant. Er erkundigte sich besorgt nach Major Tipladys Genesungsstand, lobte den Tee und wechselte sogar ein paar höfliche Worte mit Hester. Sie unterhielten sich über die jüngsten Nachrichten aus Indien, die unschönen Gerüchte über den Opiumkrieg in China, den Krieg in Persien und die Unruhe innerhalb der heimischen Regierung. All diese Themen gaben Grund zur Beunruhigung, aber sie waren sehr weit weg, und Monk fand die kurze halbe Stunde überaus entspannend. Sie war eine regelrechte Erholung von der niederdrückenden Verantwortung des Hier und Jetzt.
Am folgenden Tag ließ Lovat-Smith weitere Zeugen aufrufen, die den untadeligen Charakter, das wundervolle Verhalten und die glänzende militärische Laufbahn des Generals bestätigten. Hester begab sich auch diesmal zum Gericht, um im Auftrag von Major Tiplady Augen und Ohren offenzuhalten, während Monk gleich morgens zu Callandra Daviot fuhr. Zu seinem Verdruß mußte er erfahren, daß sie auch nicht den geringsten Hinweis darauf entdeckt hatte, daß die Beziehungen des Generals je anders als absolut korrekt und schicklich gewesen waren. Nichtsdestotrotz konnte sie mit einigen umfangreichen Listen sämtlicher junger Männer aufwarten, die sowohl in England als auch in Indien in seinem Regiment gedient hatten. Diese hielt sie ihm nun mit verlegener Miene hin. »Machen Sie sich nichts draus«, sagte er unvermutet sanft. »Vielleicht ist das alles, was wir brauchen.«
Sie warf ihm einen schiefen Blick zu, unfähig, die Skepsis aus ihrem Gesicht zu verbannen.
Monk überflog die Liste. Er war auf der Suche nach dem Namen des Stiefelburschen der Furnivals, und richtig, gleich zu Beginn der zweiten Seite wurde er fündig: Robert Andrews, wegen Verwundung im Gefecht ehrenhaft aus der Armee entlassen.
»Und?« fragte Callandra ungeduldig.
»Mal sehen«, gab er zurück. »Ich muß mich erst vergewissern.«
»Monk!«
»Was ist?« Er schaute sie an und wurde sich plötzlich bewußt, wieviel sie für ihn getan hatte. »Schon gut. Das hier könnte der Stiefelbursche der Furnivals sein. Der, der die ganze Wäsche auf den Boden fallen ließ, als er am Abend des Mordes
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