Eine Spur von Verrat
seinem privaten Wohnzimmer voraus, damit sie unter sich waren, falls das Thema sich als heikel erweisen sollte. Darüber hinaus gewann der Rest der Belegschaft auf diese Weise den richtigen Eindruck. Es gehörte sich nicht, vor allen Leuten Dinge zu besprechen, die vermutlich persönlicher Natur waren.
»Wie oft kam der General hierher zu Besuch?«
»Nun, Mr. Monk, bis zu dem Unfall ziemlich oft. Danach auffallend seltener, Sir.«
»Unfall?«
»Ja, Sir – als er sich am Bein verletzte, Sir.«
»Wo ist das geschehen? In welchem Raum?«
»Oh, ich fürchte, das kann ich Ihnen nicht sagen, Sir. Irgendwo oben, glaube ich. Im Schulzimmer vielleicht. Dort gibt es ein Ziermesser – oder jedenfalls gab es eins. Ich hab’s seitdem nicht mehr gesehen. Darf ich fragen, warum Sie das interessiert, Sir?«
»Aus keinem bestimmten Grund – weil es eine recht üble Geschichte war, nehme ich an. Hat sonst noch jemand Master Valentine regelmäßig besucht? Mr, Pole beispielsweise?«
»Nein, Sir, nicht das ich wüßte. Nie.« Seine letzte Frage stand ihm nach wie vor deutlich ins Gesicht geschrieben.
»Und Mr. Erskine?«
»Nein, Sir, meines Wissens nicht. Aber was hat das mit dem Tod des Generals zu tun, Mr. Monk?«
»Ich bin nicht sicher«, gab Monk freimütig zu.
»Möglicherweise hat jemand… eine bestimmte Art von… Druck auf Master Valentine ausgeübt.«
»Druck, Sir?«
»Ich möchte nichts darüber sagen, ehe ich nichts Genaueres weiß. Sonst gerät am Ende noch jemand grundlos in Verruf.«
»Ich verstehe, Sir.« Diggins nickte verständnisvoll.
»Haben Sie eine Ahnung, ob Master Valentine schon mal bei den Carlyons war?«
»Ich glaube nicht. Soviel ich weiß, ist weder Mr. noch Mrs. Furnival mit dem Colonel und Mrs. Carlyon bekannt, und ihr Verhältnis zu Mr. und Mrs. Erskine ist nicht besonders eng.«
»Äh, ja. Vielen Dank.« Monk schwankte zwischen Erleichterung und Enttäuschung. Er wollte nicht, daß Peverell Erskine derjenige war, aber er mußte unbedingt herausfinden, wer – und zwar schnell, denn die Zeit wurde knapp. Vielleicht doch Maxim? Wenn er so darüber nachdachte, erschien es ihm tatsächlich am naheliegendsten. Er war die ganze Zeit da. Schon wieder ein Vater, der seinen Sohn sexuell mißbrauchte? Monk spürte, wie sich sein Magen verkrampfte und seine Zähne weh taten, so fest hatte er sie zusammengepreßt. Zum allererstenmal und nur für den Bruchteil einer Sekunde empfand er aufrichtiges Mitleid für Louisa.
»Gibt es sonst noch etwas, Sir?« fragte der Butler hilfsbereit.
»Nein, ich denke, das war alles.« Was mußte er diesen Mann fragen, damit die Antwort ihn zur Identität von Valentines Peiniger führen würde? Doch wie zart das Eingeständnis der Existenz eines derart bedrückenden Geheimnisses auch angedeutet werden mochte – und er verabscheute die Vorstellung, den Jungen unter Druck zu setzen oder ihm eine Falle zu stellen –, er mußte zumindest versuchen, etwas in Erfahrung bringen. »Ach doch. Haben Sie sich vielleicht schon einmal überlegt, warum Ihr Stiefelbursche sich an dem Abend, als der General ums Leben kam, so schlecht benommen hat?« Er beobachtete jeden Muskel im Gesicht seines Gegenübers. »Er kam mir wie ein cleverer, verantwortungsbewußter junger Bursche vor, weit entfernt davon, sich gehen zu lassen.«
»Ja, Sir, das ist er auch. Ich kann’s mir selbst nicht erklären.« Diggings schüttelte ratlos den Kopf. »Er war immer ein guter Junge, unser Robert. Stets pünktlich, fleißig, respektvoll und verständig. Hat nie irgendwelche komischen Sachen gemacht, außer bei dieser einen Gelegenheit. Sie haben’s ganz richtig erkannt, Sir, er ist ein prächtiger Bursche. War früher als Trommler bei der Armee, wurde dann aber irgendwo unten in Indien verwundet und daraufhin ehrenhaft aus dem Dienst entlassen. Hatte ausgezeichnete Referenzen. Ich kann mir wirklich nicht vorstellen, was in ihn gefahren ist. Paßt überhaupt nicht zu ihm. Er ist ganz versessen darauf, Lakai zu werden, und wird bestimmt mal einen guten abgeben – auch wenn er seit diesem Abend zuweilen etwas seltsam ist. Aber das sind wir schließlich alle, kann man ihm kaum übelnehmen.«
»Sie halten also nicht für denkbar, daß er etwas gesehen hat, das mit dem Mord zusammenhing, oder?« fragte Monk so beiläufig wie möglich.
Diggins schüttelte wieder den Kopf. »Wüßte nicht, was das sein könnte, Sir, denn er hätte es bestimmt gemeldet, wie’s seine Pflicht gewesen wäre. Außerdem
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