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Eine Spur von Verrat

Eine Spur von Verrat

Titel: Eine Spur von Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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ihr keine Idee. Sie wußten genau, was in Alexandra vorgegangen war, kannten die wahren Hintergründe für ihre Verzweiflungstat, und doch hatten sie keine Ahnung, daß es einen weiteren Mißbraucher, geschweige denn zwei oder wer weiß wie viele noch gegeben hatte.
    Der Versuch, Randolf Carlyon etwas nachzuweisen, schien von vornherein zum Scheitern verurteilt. Er würde es niemals zugeben, seine Familie sich mit Sicherheit um ihn zusammenschließen wie eine Mauer aus Stahl. Wenn sie ihn öffentlich beschuldigten, nahm das die Menge und die Geschworenen vermutlich nur noch mehr gegen Alexandra ein. Man würde sie für eine verdorbene, bösartige Frau mit einer schmutzigen Phantasie halten, besessen von ihren abartigen Vorstellungen.
    Was sie jetzt brauchten, war der dritte Mann, unwiderlegbare Beweise für seine Tat oder doch so fundiert begründete Anschuldigungen, daß ein Leugnen unmöglich war. Und das wiederum bedeutete, sie waren auf die Hilfe von Cassian, Valentine Furnival sofern auch er zu den Opfern gehörte – und jedem anderen angewiesen, der etwas wußte oder ahnte. Wie Miss Buchan zum Beispiel.
    Doch Miss Buchan würde durch eine solche Behauptung alles aufs Spiel setzen. Die Carlyons würden sie aus dem Haus jagen, und dann stand sie mittellos da. Wer nahm schon eine Frau, die zum Arbeiten zu alt war und ihren Brötchengeber, der ihr trotz dieser Mängel Verpflegung und ein Dach über dem Kopf gegeben hatte, des Inzests und der Homosexualität bezichtigte?
    Nein, ein langes, fruchtloses Wochenende war jetzt ganz gewiß nicht das richtige. Hester wünschte, sie könnte sich auf die Seite drehen und wieder einschlafen, aber draußen war bereits hellichter Tag. Durch den schmalen Spalt zwischen den Vorhängen kämpfte sich ein einsamer Sonnenstrahl. Sie mußte aufstehen und nach Major Tiplady sehen. Er war zwar inzwischen durchaus in der Lage, für sich selbst zu sorgen, aber sie konnte ihre Aufgabe genausogut bis zuletzt so vollständig wie möglich erfüllen.
    Vielleicht sollte sie den Vormittag nutzen, sich nach einem neuen Posten umzusehen; der jetzige konnte nicht mehr von langer Dauer sein. Sie kam zwar auch ohne Arbeit ein paar Wochen über die Runden, aber länger nicht. Und sie brauchte eine Anstellung, die es ihr ermöglichte, im Haus des Patienten zu wohnen. Da es dumm war und ihre Mittel bei weitem überstieg, Miete für ein Zimmer zu bezahlen, das sie im Grunde nicht brauchte, war sie aus der kleinen Pension ausgezogen. Die Träume von einer andersgearteten Beschäftigung schob sie rigoros beiseite. Sie waren unrealistisch und an den Haaren herbeigezogen, die Phantastereien einer törichten Frau.
    Nach dem Frühstück bat sie Major Tiplady, ihr den Tag freizugeben, damit sie diverse Einrichtungen aufsuchen konnte, die eine Krankenschwester wie sie an Bedürftige weitervermittelten. Auf dem Gebiet der Geburtshilfe oder Säuglingspflege kannte sie sich dummerweise so gut wie gar nicht aus. In diesem Bereich bestand ein wesentlich größerer Bedarf an versierter Hilfe.
    Tiplady ließ sie nur widerstrebend gehen, nicht weil er sie etwa noch brauchte, sondern weil er sich an ihre Gesellschaft gewöhnt hatte und sie nicht missen wollte. Er sah die Dringlichkeit jedoch ein und stimmte schließlich zu.
    Hester dankte ihm und wollte eine halbe Stunde später das Haus gerade verlassen, als das Mädchen hereinkam und mit überraschter Miene verkündete, Mrs. Sobell stünde vor der Tür.
    »Oh!« Der Major war sichtlich durcheinander und wurde ein wenig rot. »Sie möchte bestimmt zu Miss Latterly, nicht wahr? Bitten Sie sie herein, Molly! Lassen Sie die Ärmste nicht so lange in der Halle stehen.«
    »Nein, Sir – ja, Sir.« Molly blickte noch erstaunter, tat jedoch, wie ihr geheißen, und einen Moment später trat Edith über die Schwelle, gekleidet in leuchtend lilaviolette Halbtrauer. Hester dachte bei sich, falls gefragt, würde sie es eher als Vierteltrauer bezeichnen. Ediths Aufzug war in der Tat sehr hübsch; das einzige Zugeständnis an einen Todesfall bestand aus dem schwarzen Spitzenbesatz und den schwarzen Satinbändern an Haube und Schultertuch. Über ihre höchst individuellen Gesichtszüge konnte das alles natürlich nicht hinwegtäuschen, aber Edith sah an diesem Morgen ausgesprochen liebenswert und weiblich aus, obwohl sie sich sichtlich Sorgen machte.
    Wie von der Tarantel gestochen sprang der Major auf – unter völliger Mißachtung seines Beines, das mittlerweile zwar so gut wie

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