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Eine Spur von Verrat

Eine Spur von Verrat

Titel: Eine Spur von Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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aber auch unvermittelt einen wütenden oder mitfühlenden Ausdruck annehmen konnten.
    »Wie schön, Sie wiederzusehen, Miss Latterly«, sagte er lächelnd. »Möchten Sie nicht in mein Büro kommen und mir verraten, was Sie zu mir führt?« Er trat einen Schritt zurück, um sie einzulassen, folgte ihr, zog die Tür hinter sich ins Schloß und bot ihr einen der großen, bequemen Sessel an. Auch das Büro war, wie beim letzten Mal, geräumig und erstaunlicherweise ohne das beklemmende Gefühl zu vieler Bücher. Durch das helle Licht, das durch die Fenster fiel, wirkte es eher wie ein Ort, von dem aus man die Welt beobachtet, als einer, an dem man sich vor ihr versteckt. »Vielen Dank«, Hester nahm Platz, ohne große Rücksicht auf das Durcheinander ihrer Röcke zu nehmen. Er sollte gar nicht erst auf die Idee kommen, daß es sich um einen Freundschaftsbesuch handeln könnte.
    Er ließ sich hinter seinem Schreibtisch nieder und musterte sie interessiert.
    »Wieder ein hoffnungsloser Fall von Justizirrtum?« fragte er mit leuchtenden Augen.
    Hester fühlte sich augenblicklich in die Defensive getrieben und hatte den Eindruck, aufpassen zu müssen, daß nicht er den Verlauf des Gesprächs diktierte. Sie machte sich hastig klar, daß es sein Beruf war, Leute so auszufragen, daß sie sich durch ihre Antworten verrieten.
    »Es wäre dumm, mir im voraus ein Urteil zu bilden, Mr.
    Rathbone«, gab sie mit ähnlich liebenswürdigem Lächeln zurück. »Wenn Sie krank wären, würde es mich auch ärgern, wenn Sie mich erst zu Rate zögen und sich dann selbst die Medizin verschrieben.«
    Jetzt war seine Erheiterung unverkennbar.
    »Falls ich Sie eines Tages tatsächlich konsultieren sollte, Miss Latterly, werde ich mich an Ihre Worte erinnern. Obwohl ich es vermutlich nicht wagen würde, Ihrem Urteil zuvorzukommen. Glauben Sie mir, wenn ich krank bin, dann bin ich in einer wirklich bemitleidenswerten Verfassung.«
    »Auch Leute, die eines Verbrechens beschuldigt werden und dem Gesetz ohne Rechtsbeistand oder wenigstens kompetente Vertretung ausgeliefert sind, haben Angst und sind verletzlich, ja bemitleidenswert«, gab sie zurück.
    »Und Sie glauben, daß ich der Richtige für diese besondere Aufgabe bin?« fragte er. »Ich fühle mich geehrt, wenn auch nicht direkt geschmeichelt.«
    »Sie wären es vielleicht, wenn Sie mehr darüber wüßten«, erwiderte sie etwas spitz.
    Er verzog den Mund zu einem breiten, vollkommen offenen Lächeln. Seine Zähne waren wunderschön.
    »Bravo, Miss Latterly. Ich sehe, Sie haben sich nicht verändert. Bitte, sagen Sie mir, worum es sich handelt.«
    »Haben Sie von dem kürzlichen Tod eines gewissen Generals Thaddeus Carlyon gelesen?« Besser, sie formulierte es als Frage. Vermutlich wußte er es längst.
    »Ich habe den Nachruf in der Zeitung gelesen. Wenn ich mich recht entsinne, kam er bei einem Unfall ums Leben, nicht wahr? Ein Sturz, als er irgendwo zu Besuch war. Handelt es sich etwa nicht um einen Unfall?« Er wirkte gespannt.
    »Nein. Mit dem Sturz scheint etwas nicht zu stimmen. Jedenfalls hätte er dadurch normalerweise nicht ums Leben kommen können.«
    »In dem Nachruf wurde auf die Art der Verletzung nicht näher eingegangen.«
    Sie erinnerte sich an Damaris’ Worte und meinte trocken:
    »Nein – natürlich nicht. Der Vorfall war ja auch zu absurd. Er ist über das Geländer einer Galerie auf eine Ritterrüstung gestürzt.«
    »Und hat sich das Genick gebrochen?«
    »Nein! Bitte, unterbrechen Sie mich nicht dauernd, Mr. Rathbone. Der Sachverhalt ist zu kompliziert, als daß Sie ihn erraten könnten.« Sie ignorierte seinen leicht überraschten Blick angesichts ihrer Dreistigkeit und fuhr fort: »Es ist wirklich zu lächerlich. Er fiel auf diese Rüstung und wurde dabei angeblich tödlich von der Hellebarde durchbohrt. Die Polizei erklärte denn auch prompt, daß es sich so nicht abgespielt haben kann. Sie wurde ihm vorsätzlich in die Brust getrieben, als er bereits bewußtlos auf dem Boden lag.«
    »Ich verstehe.« Rathbone heuchelte Zerknirschung. »Also war es Mord; diesen Schluß darf ich sicher ziehen?«
    »Sie dürfen. Die Polizei hat eine Weile ermittelt, zwei Wochen lang, um genau zu sein. Es passierte am Abend des zwanzigsten April. Und nun hat die Witwe, Mrs. Alexandra Carlyon, die Tat plötzlich gestanden.«
    »Das wiederum, Miss Latterly, hätte ich durchaus erraten können. Bedauerlicherweise ist es weder ein ungewöhnliches noch ein absurdes Ereignis, denn alle

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