Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Spur von Verrat

Eine Spur von Verrat

Titel: Eine Spur von Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
Vom Netzwerk:
selbst nur erahnen konnte. Die Öffentlichkeit kannte kein Erbarmen mit Frauen, die ihre Männer aus Eifersucht ermordeten. Genaugenommen brachte sie einer Frau, die ihren Mann, gleich aus welchem Grund, umbrachte, ausgesprochen wenig Verständnis entgegen. Alles, was nicht direkt lebensbedrohlich war, mußte erduldet werden. Obszöne oder widernatürliche Forderungen wurden selbstverständlich verurteilt, doch das tat man auch mit denen, die rüde genug waren, über derlei Dinge bloß zu sprechen. Die Hölle im ehelichen Schlafzimmer gehörte zu dem, was man bevorzugt verschwieg, ähnlich einer unheilbaren Krankheit oder gar dem Tod selbst. Es schickte sich nicht.
    »Mrs. Carlyon…«
    »Ich weiß«, flüsterte sie. »Man wird mich…« Sie brachte es immer noch nicht fertig, das Wort auszusprechen. Er zwang sie nicht dazu. In ihr Gedächtnis war es zweifellos unauslöschlich eingebrannt.
    »Ich kann erheblich mehr tun, als lediglich Ihr Geständnis wiederholen, wenn Sie mir die Wahrheit sagen«, fuhr er fort.
    »Sie haben Ihren Mann nicht einfach über das Geländer gestoßen und anschließend mit einer Hellebarde durchbohrt, weil er mit Mrs. Furnival auf zu vertrautem Fuß stand. Haben Sie mit ihm darüber gesprochen? Haben Sie sich gestritten?«
    »Nein.«
    »Warum nicht?«
    Sie drehte sich um und schaute ihn aus tiefblauen Augen verständnislos an.
    »Was haben Sie gesagt?«
    »Warum haben Sie nicht mit ihm darüber gesprochen?« wiederholte Rathbone geduldig. »Haben Sie ihm nie eröffnet, daß sein Verhalten Sie verletzt hat?«
    »Oh… ich – doch.« Sie schien überrascht. »Natürlich. Ich bat ihn – diskret zu sein…«
    »Mehr nicht? Sie haben ihn so sehr geliebt, daß Sie ihn lieber töteten, als ihn mit einer anderen Frau zu teilen – und doch haben Sie ihn nur gebeten…« Er brach ab. Ihre Miene verriet deutlich, daß Sie an diese Art Liebe überhaupt nicht gedacht hatte. Die Vorstellung, eine sexuelle Obsession könne solchermaßen verzehrend sein, daß sie in Mord gipfelte, war ihr in bezug auf sich selbst und den General bislang offenbar nicht in den Sinn gekommen. Sie mußte von etwas anderem gesprochen haben.
    Ihre Blicke trafen sich, und Alexandra begriff sofort, daß sie diesen Scheingrund nicht länger aufrechterhalten konnte.
    »Nein.« Sie wandte den Blick wieder ab und fuhr mit veränderter Stimme fort: »Es war der Verrat. Ich habe ihn nicht auf diese Weise geliebt.« Der Geist eines Lächelns zupfte an ihren Mundwinkeln. »Wir waren dreiundzwanzig Jahre verheiratet, Mr. Rathbone. Ich halte zwar nicht unbedingt für ausgeschlossen, daß ein leidenschaftliches Gefühl so lange andauern kann, aber es kommt sicher selten vor.«
    »Was war es dann, Mrs. Carlyon?« hakte er nach. »Warum sonst haben Sie ihn getötet, als er bewußtlos vor ihnen lag? Und erzählen Sie mir nicht, Sie hätten sich vor einer verbalen oder gar tätlichen Attacke seinerseits gefürchtet. Was er garantiert am letzten gewollt hätte, wäre, die restlichen Dinnergäste hören zu lassen, daß seine Frau ihn vom ersten Stock über das Geländer geschubst hat. Das birgt bei weitem zuviel Anlaß zur Erheiterung.«
    Sie setzte zum Sprechen an, besann sich jedoch eines Besseren.
    »Hat er sie jemals geschlagen?« forschte Rathbone weiter.
    »Ernsthaft?«
    Sie sah ihn nicht an. »Nein«, kam es sehr leise. »Es würde helfen, wenn er es getan hätte, nicht wahr? Ich hätte ja sagen sollen.«
    »Nur wenn es die Wahrheit ist. Ihr Wort allein wäre ohnehin nicht viel wert. Viele Männer schlagen ihre Frauen. Es gilt nicht als Verbrechen, es sei denn, die Folgen sind lebensbedrohend.
    Und für eine derart diffuse Anschuldigung brauchte man eine Menge erhärtendes Beweismaterial.«
    »Er hat mich nicht geschlagen. Er war ein – ein ausgesprochen kultivierter Mensch – ein Held eben.« Ihre Lippen kräuselten sich in harter, verletzender Belustigung, als verberge sich hinter ihren Worten ein sinistrer Scherz.
    Er wußte, sie würde ihn nicht einweihen. Um eine weitere Abfuhr zu vermeiden, bat er erst gar nicht darum.
    »Aus welchem Grund haben Sie ihn nun also tatsächlich ermordet, Mrs. Carlyon? Sie litten nicht unter rasender Eifersucht. Er hat sie nicht bedroht. Was dann?«
    »Er hatte ein Verhältnis mit Louisa Furnival – öffentlich – vor meinen Freunden und vor meiner Familie«, wiederholte sie stumpf.
    Damit stand er wieder am Anfang. Er glaubte ihr nicht; zumindest war das nicht alles. Irgend etwas verheimlichte sie

Weitere Kostenlose Bücher