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Eine Spur von Verrat

Eine Spur von Verrat

Titel: Eine Spur von Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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ihm, und zwar etwas Barbarisches, etwas wirklich Ernstes. Was sie ihn sehen ließ, war lediglich die mit Lügen und Ausflüchten umkränzte Oberfläche. »Was ist mit Ihrer Tochter?«
    Stirnrunzelnd drehte sie sich zu ihm. »Meine Tochter?«
    »Ihre Tochter Sabella. Hatte sie eine gute Beziehung zu ihrem Vater?«
    Wieder geisterte ein schemenhaftes Lächeln um ihren Mund.
    »Sie haben offensichtlich gehört, daß es Meinungsverschiedenheiten gab. Ja, das stimmt, und sie waren äußerst unangenehm. Sabella kam nicht besonders gut mit ihm zurecht. Sie wollte Nonne werden, und er wollte nichts davon wissen. Statt dessen arrangierte er ihre Hochzeit mit Fenton Pole, der übrigens ein sehr netter junger Mann ist und sie gut behandelt.«
    »Aber sie hat ihrem Vater bis heute nicht verziehen?«
    »Nein.«
    »Warum nicht? Ist das nicht ein wenig übertrieben?«
    »Sie – sie war sehr krank«, sagte sie defensiv. »Nach der Geburt ihres Kindes kam sie völlig durcheinander. So etwas kommt vor.« Sie starrte ihn hocherhobenen Hauptes an.
    »Damals erwachte der alte Groll zu neuem Leben. Jetzt ist er weitgehend vorbei.«
    »Mrs. Carlyon – war es Ihre Tochter und nicht Sie, die Ihren Mann ermordet hat?«
    Sie wirbelte jäh zu ihm herum, die weit aufgerissenen Augen fast schwarz. Ihr Gesicht war in der Tat äußerst ungewöhnlich. Momentan verriet es Wut und Angst und schien jederzeit bereit zum Kampf.
    »Nein – Sabella hat nichts damit zu tun! Ich habe es Ihnen bereits mehrmals gesagt, Mr. Rathbone – ich war diejenige, die ihn ermordet hat. Ich verbiete Ihnen, sie in diese Sache hineinzuziehen, ist das klar? Sie ist absolut unschuldig. Ich verzichte auf Ihre Dienste, wenn Sie auch nur eine Sekunde etwas anderes glauben.«
    Er hatte erreicht, was er konnte. Alexandra sagte kein Wort mehr. Er stand auf.
    »Ich komme wieder, Mrs. Carlyon. Sprechen Sie in der Zwischenzeit mit niemandem darüber, es sei denn, Sie haben meine ausdrückliche Erlaubnis. Haben Sie das verstanden?« Warum sagte er das überhaupt? Sein Instinkt riet ihm dringend, den Fall abzulehnen. Für eine Frau, die ihren Mann vorsätzlich und ohne plausiblen Grund ermordet hatte, konnte er nicht viel tun. Und ein Flirt bei einer Dinnerparty war wohl für keinen ein plausibler Grund. Hätte sie ihn mit einer anderen Frau im Bett erwischt, vorzugsweise im eigenen Haus und mit einer guten Freundin als Zeugin, könnte man vielleicht auf mildernde Umstände hoffen. Doch selbst das hieß nicht viel. Schon eine Menge Frauen hatten ihre Männer mit dem Dienstmädchen im Bett erwischt und mußten es schweigend, ja sogar lächelnd, hinnehmen. Nein, die Gesellschaft würde sie vermutlich noch tadeln, daß sie so ungeschickt gewesen war, die beiden zu ertappen, wo doch ein kleines bißchen Diskretion ausgereicht hätte, weder sich selbst noch ihn in eine derart mißliche Lage zu bringen.
    »Wenn Ihnen soviel daran liegt«, sagte sie gleichgültig.
    »Danke, daß Sie gekommen sind.« Sie wollte nicht einmal wissen, wer ihn geschickt hatte.
    »Mir liegt sogar sehr viel daran«, gab Rathbone zurück.
    »Guten Tag, Mrs. Carlyon.« Was für eine absurde Verschiebung. Wie konnte für sie momentan auch nur irgend etwas gut sein.
    Rathbone verließ das Gefängnis in gedanklichem Aufruhr. Jeder halbwegs intelligente Mensch hätte den Fall abgelehnt. Und doch gab er dem Kutscher, als er endlich einen Hansom erwischte, Anweisung, ihn in die Grafton Street zu fahren, wo William Monk wohnte; er fuhr nicht nach High Holborn zur Kanzlei von Peverell Erskine, um ihm höflich mitzuteilen, daß er sich außerstande sah, Alexandra Carlyon zu helfen.
    Während der gesamten, in gleichmäßigem Trab zurückgelegten Strecke dachte er sich immer neue Mittel und Wege aus, den Fall zurückzuweisen. Jeder kompetente Anwalt war in der Lage, ein Proforma-Plädoyer für sie zu halten, und das für die Hälfte seines Honorars. Es gab wirklich nichts zu sagen. Vielleicht war es sogar barmherziger, ihr keine Hoffnungen zu machen oder das Verfahren unnötig in die Länge zu ziehen, denn dadurch wurde nur qualvoll hinausgeschoben, was am Ende unausweichlich war.
    Trotz alledem klopfte er nicht ans Fenster, um den Kutscher umzudirigieren. Stocksteif saß er auf seinem Platz, bis sie in der Grafton Street ankamen und er aussteigen mußte, um den Mann zu bezahlen. Er blickte ihm sogar nach, wie er in Richtung Tottenham Court Road um die Ecke bog, und rief ihn dennoch nicht zurück.
    Ein hochaufgeschossener,

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