Eine Spur von Verrat
– aber er wird Ihnen nicht weiterhelfen.«
»Ich schaue ihn mir trotzdem an.«
Runcorn grinste. »Wie Sie wünschen, Mr. Rathbone. Wie Sie wünschen.«
3
Monk ließ sich in erster Linie deshalb auf den Fall Alexandra Carlyon ein, weil es Rathbone war, der ihn darum gebeten hatte. Er sollte um keinen Preis denken, die Aussichtslosigkeit eines Auftrags könnte Monk dermaßen einschüchtern, daß er es nicht einmal versuchte. Er hatte nichts gegen Rathbone; im Gegenteil, es gab sogar vieles an dem Mann, was er bewunderte und was ihn instinktiv ansprach. Seine Art von Humor etwa gefiel ihm ausgesprochen gut, wie bissig er auch sein mochte, denn Rathbone wurde nie wirklich verletzend. Außerdem hatte er großen Respekt vor seinem wachen Verstand. Monk war selbst intelligent und konnte sich stets hinreichend auf seine eigene Stärke verlassen, um anderen echte Genialität nicht zu verübeln oder Angst davor zu haben – wie beispielsweise Runcorn.
Vor seinem Unfall hatte er sich jedem Menschen ebenbürtig gefühlt, den meisten sogar überlegen. Alles, was er bislang über sich in Erfahrung gebracht hatte – sei es nun das, was er erreicht hatte, oder das, was man gemeinhin von ihm hielt –, deutete daraufhin, daß seine hohe Meinung von sich selbst nicht nur reiner Arroganz entsprang, sondern auf seinem guten Einschätzungsvermögen beruhte.
Dann, eines Nachts vor etwas mehr als einem Jahr, als der Himmel sich in sintflutartigen Sturzbächen über die Welt ergoß, war die Kutsche, in der er saß, ins Schleudern gekommen und umgekippt; der Kutscher hatte sein Leben, Monk durch den Aufprall das Bewußtsein verloren. Als er im Krankenhaus wieder zu sich gekommen war, konnte er sich an nichts mehr erinnern, nicht einmal an seinen Namen. Während der darauffolgenden Monate mußte er sich Stück für Stück wiederentdecken und war oftmals von dem Ergebnis unangenehm überrascht worden. Er betrachtete sich von außen, verstand zwar seine Handlungen, die Motive blieben ihm jedoch ein Rätsel. Was er sah, war das Bild eines rücksichtslos ehrgeizigen Mannes, der verbissen nach einer Gerechtigkeit strebte, die höhere Ansprüche stellte als das Gesetz – der auf der anderen Seite jedoch keinerlei Freunde oder Familienbande zu besitzen schien. Seine einzige Schwester schrieb anscheinend eher selten und hatte ihn trotz ihrer regelmäßigen, liebevollen Briefe seit Jahren nicht besucht.
Bei seinen Untergebenen war er geachtet und gefürchtet zugleich. Seine Vorgesetzten indes lehnten ihn ab, weil er ihnen zu dicht auf den Fersen war – ganz besonders Runcorn. Welche Kränkungen er jedem einzelnen zugefügt haben mochte, konnte er nach wie vor nur erraten.
Es existierte auch eine diffuse Erinnerung an ein zärtliches Gefühl, doch er konnte es mit keinem Gesicht, geschweige denn einem Namen verbinden. Hester Latterlys Schwester Imogen hatte es als erste geschafft, diese zunächst fast betäubende Empfindung wieder auflodern zu lassen, die ihn der Gegenwart entriß, die ihn mit undefinierbarem Trost und vager Hoffnung quälte. Und dann war es wieder vorbei, ehe er auch nur den kleinsten, wirklich echten Anhaltspunkt zu fassen bekam.
Zuweilen erinnerte er sich an einen älteren Mann, der ihm offenbar viel beigebracht hatte und den eine Aura von Verlust umgab der stumme Vorwurf, daß Monk nicht für ihn dagewesen war, als er dringend seine Hilfe brauchte. Aber auch diese Erinnerung war unvollständig. Vor seinem geistigen Auge tauchte das bruchstückhafte Bild einer eher unscheinbaren Frau auf, die mit kummervollem Gesicht am Eßzimmertisch saß, die weinen konnte, ohne daß ihre Züge dadurch verunstaltet wurden. Er wußte, sie war ihm sehr wichtig gewesen.
Dann hatte er während der Ermittlungen im Mordfall Moidore in blindem Zorn den Dienst quittiert, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, wie er ohne seinen Beruf weiterleben sollte. Es war nicht leicht gewesen; Privataufträge gab es nicht gerade wie Sand am Meer. Er arbeitete erst seit wenigen Monaten im Alleingang und wäre von seiner Wirtin vermutlich längst auf die Straße gesetzt worden, hätte Lady Callandra Daviot ihm nicht als Sponsorin des Projekts finanziell unter die Arme gegriffen. Als Gegenleistung verlangte diese Seele von Mensch lediglich, über die interessantesten Fälle auf dem laufenden gehalten zu werden, worauf er begeistert eingegangen war. Die Fälle, die er allerdings bislang bearbeitet hatte, waren wenig spektakulär: drei
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