Eine Spur von Verrat
Stelle, wo oben der Handlauf der Treppe begann. Man hätte direkt an der Ecke über die Brüstung stürzen müssen, um direkt darauf zu landen. Sie war ein edles Stück, obschon vielleicht eine Spur zu prunkvoll für ein Londoner Haus; sie gehörte eher in einen prächtigen Saal mit behauenen Steinwänden und großen, offenen Kaminen. Aber auch hier wirkte sie äußerst dekorativ, eignete sich hervorragend als Gesprächsstoff und sorgte dafür, daß man das Haus der Furnivals in Erinnerung behielt – wahrscheinlich der Hauptgrund für ihr Vorhandensein. Es war eine Ritterrüstung aus dem späten Mittelalter, die den ganzen Körper umschloß. Der linke Unterarm war angewinkelt, der Panzerhandschuh so gekrümmt, als würde er einen Speer oder eine Art Pike halten. Momentan war er allerdings leer. Zweifelsohne hatte die Polizei die Hellebarde als Beweisstück für Alexandra Carlyons Prozeß mitgenommen.
Monk drehte sich einmal um sich selbst, um sich ein Bild von der Anordnung der restlichen Gesellschaftszimmer zu machen. Zu seiner Rechten, direkt neben dem Fuß der Treppe, befand sich eine Tür. Wenn das der Salon war, hätte jeder das Umfallen der Ritterrüstung hören müssen, obwohl der Boden fast vollständig mit entweder echten Bokharateppichen oder aber ausgezeichneten Imitationen bedeckt war. Die einzelnen Metallteile hätten auch auf einem gut gepolsterten Untergrund ein lautes Krachen verursacht.
Es gab noch eine zweite Tür rechts von ihm, unter dem höchsten Punkt der Treppe, doch sie führte vermutlich eher zu einem Billardzimmer oder zur Bibliothek. Ein Gesellschaftszimmer befand sich selten in derart versteckter Lage.
Zu seiner Linken entdeckte er eine ausgesprochen schöne Flügeltür. Er ging leise darauf zu und machte sie vorsichtig auf. Da das Mädchen nicht hier hinein, sondern zu den hinteren Räumen des Hauses entschwunden war, vertraute er darauf, daß der darunterliegende Raum zur Zeit leer war.
Monk spähte durch den Türspalt. Es war ein überaus geräumiges, luxuriös eingerichtetes Speisezimmer, an dessen großer Eichenholztafel mindestens ein Dutzend Leute Platz hatten. Er machte die Tür schnell wieder zu und trat einige Schritte zurück. Beim Essen konnten sie auch nicht gewesen sein, als Thaddeus Carlyon auf die Rüstung fiel, denn hier hätte man das Geräusch bestimmt nicht überhört.
Gerade noch rechtzeitig, ehe das Mädchen zurückkam, stand er wieder an seinem ursprünglichen Platz mitten in der Halle.
»Mrs. Furnival läßt bitten, Sir. Wenn Sie mir bitte folgen wollen«, sagte sie geziert.
Sie führte ihn durch einen breiten Flur zum rückwärtigen Teil des Hauses, dann über einen weiteren Korridor geradewegs in den Salon. Er ging auf den Garten hinaus und lag am weitesten von der Halle entfernt.
Monk hatte keine Zeit, sich die Einrichtung genauer anzusehen. Alles, was er auf die Schnelle gewann, war der flüchtige Eindruck eines überfüllten Zimmers mit überreich gepolsterten Sofas und Sesseln in flammendem Rosarot, schweren Vorhängen, einigen eher mittelmäßigen Bildern und mindestens zwei goldumrahmten Spiegeln.
Die Frau, die seine Aufmerksamkeit voll und ganz fesselte, war zwar eher klein, besaß jedoch eine derart starke Ausstrahlung, daß sie den Raum vollkommen dominierte. Trotz ihres zierlichen Körperbaus erschien sie Monk erstaunlich üppig. Ihr Gesicht war von auffallend vollem, schwarzem Haar umrahmt, was der augenblicklichen Mode eigentlich gar nicht entsprach, ihre breiten, hohen Wangenknochen und die länglichen, leicht schräg geschnittenen Augen jedoch hervorragend zur Geltung brachte. Die Augen waren so schmal, daß er nicht einmal auf Anhieb sagen konnte, ob sie nun grün waren oder braun. Obwohl sie selbstverständlich nicht im entferntesten wie eine echte Katze aussah, hatte sie doch etwas extrem Katzenhaftes an sich – eine Geschmeidigkeit und Losgelöstheit, die ihn an kleine Raubtiere erinnerte.
Auf eine sinnliche, höchst individuelle Art hätte man sie durchaus schön nennen können, wäre da nicht dieser niederträchtige Zug um ihren Mund gewesen, der bei Monk sofort eine Alarmglocke losschrillen ließ.
»Guten Tag, Mr. Monk.« Sie hatte eine schöne, feste und gleichmäßige Stimme, die bei weitem natürlicher und offener klang, als er erwartet hatte. So wie sie aussah, war er auf einen unsicher kindlichen und bewußt süßlichen Tonfall eingestellt gewesen. Es war in der Tat eine angenehme Überraschung. »Sie brauchen meine Hilfe in
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