Eine Spur von Verrat
rot, und die fehlenden Puzzleteilchen fügten sich plötzlich ins Bild.
»Ich werde kein Wort weitererzählen, es sei denn, ich muß. Aber wenn du lügst, wanderst du vielleicht ins Gefängnis, weil ein unschuldiger Mensch gehängt worden ist. Das willst du doch nicht, oder?«
Jetzt war sie aschfahl. Die Angst hatte ihr offensichtlich die Sprache verschlagen.
»Also, wen hast du gesehen?«
»John.« Ein Flüstern.
»Der Lakai, der die Kohleneimer aufgefüllt hat?«
»Ja, Sir – aber ich hab’ nich mit ihm gesprochen – ehrlich! Ich war bloß ganz kurz auf ‘in Treppenabsatz. Aber Mrs. Pole war im grünen Zimmer. Das weiß ich, weil ich an der Tür vorbeigekommen bin und sie offenstand, und da hab’ ich sie gesehen.«
»Du kamst geradewegs aus deinem Zimmer unterm Dach?«
Sie nickte. Ihre Schuldgefühle, weil sie versucht hatte, den Lakaien abzufangen, wogen so schwer, daß sie alle anderen Gedanken verwischten. Sie war sich der Bedeutung ihrer Aussage überhaupt nicht bewußt.
»Woher hast du gewußt, wann er dort sein würde?«
»Ich…« Sie biß sich auf die Lippe. »Ich hab’ solange auf der Galerie gewartet.«
»Hast du gesehen, wie Mrs. Carlyon in das Zimmer von Master Valentine gegangen ist?«
»Ja, Sir.«
»Hast du sie auch zurückkommen sehen?«
»Nee, Sir, und den General auch nich, Sir – ich schwör’s bei Gott dem Herrn!«
»Was hast du dann getan?«
»Ich bin zur Treppe gegangen und hab’ auf John gewartet, Sir. Ich hab’ gewußt, daß er um die Zeit irgendwann die Kohleneimer auffüllen muß.«
»Und ist er gekommen?«
»Nee. Ich glaub’, ich war zu spät dran. Kam ja nich weg, weil ständig so viele Leute unterwegs gewesen sind. Und dann mußte ich auch noch warten, bis der gnäd’ge Herr wieder unten war.«
»Hast du Mrs. Furnival runtergehen sehen?«
»Ja, Sir.«
»Als du oben an der Treppe auf John gewartet hast – denk jetzt genau nach, du wirst es vielleicht vor Gericht beschwören müssen, also sag mir die Wahrheit…« Sie schluckte. »Mach ich, Sir.«
»Hast du da mal nach unten in die Halle geguckt?«
»Ja, Sir. Hab’ nach John Ausschau gehalten.«
»Der aus dem hinteren Teil des Hauses kommen mußte?«
»Ja, Sir – mit den Kohleneimern.«
»Stand die Ritterrüstung noch dort, wo sie immer steht?«
»Glaub schon.«
»Sie war nicht umgefallen?«
»Nee – bestimmt nich, sonst hätt’ ich’s ja gesehen. War ja genau zwischen mir und dem Gang gewesen.«
»Wo bist du hingegangen, als dir klar wurde, daß du John verpaßt hattest?«
»Wieder rauf in mein Zimmer.«
Er registrierte ein sachtes Flackern in ihren Augen, kaum wahrnehmbar, nur ein schwaches Vibrieren.
»Lüg mich nicht an: Bist du an jemandem vorbeigekommen?« Ihre Augen waren gesenkt, die Wangen wieder hochrot. »Hab’ jemanden kommen hören, weiß aber nich, wer’s war. Ich wollte nich, daß man mich da erwischt, also bin ich in Mrs. Poles Zimmer geschlüpft und hab’ gefragt, ob sie was braucht. Hab’ mir gedacht, ich sag’ einfach, ich hätt’ sie rufen hören, falls sich irgendwer wundert.«
»Und dieser Jemand ist draußen vorbeigegangen, die Galerie entlang bis zur Vordertreppe?«
»Ja, Sir.«
»Wann war das?«
»Das weiß ich nich. Sir, so wahr mit Gott helfe. Ich hab’ keine Ahnung, wirklich nich, ich schwör’s!«
»Ist schon gut, ich glaube dir.« Alexandra und der General, wenige Minuten vor der Tat.
»Hast du etwas gehört?«
»Nee, Sir.«
»Keine Stimmen?«
»Nee, Sir.«
»Auch nicht ein Krachen, als die Ritterrüstung umfiel?«
»Gar nix, Sir. Das grüne Zimmer is weit weg von der Treppe, Sir.« Diesmal konnte sie sich den Schwur sparen – es war leicht zu beweisen.
»Ich danke dir«, sagte Monk aus tiefstem Herzen.
Folglich kam doch nur Alexandra in Frage. Sie hatte als einzige die Gelegenheit gehabt. Es war Mord.
»Du warst mir eine große Hilfe.« Er mußte sich zu den Worten zwingen. »Eine sehr große Hilfe sogar. Das war’s dann – du kannst gehen.« Und Alexandra war schuldig. Louisa und Maxim waren bereits nach oben gegangen und wieder heruntergekommen, und der General war zu der Zeit noch am Leben.
»Ja, Sir. Schönen Dank auch, Sir.« Sie machte auf dem Absatz kehrt und verschwand wie ein geölter Blitz.
5
Oliver Rathbone sah Monks Ankunft relativ zuversichtlich entgegen, wenngleich seine Vernunft ihm sagte, daß er kaum wertvolle Beweise für Alexandra Carlyons Unschuld gefunden haben dürfte. Er teilte zwar Monks Verachtung für
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