Eine Spur von Verrat
Runcorn, doch im allgemeinen verspürte er großen Respekt vor der Polizei, hatte er doch bei seinen Prozessen die Erfahrung gemacht, daß sie sich selten grundlegend irrte. Aber Monk würde hoffentlich mit einem besseren und verständlicheren Motiv aufwarten. Und wenn er ehrlich war, hegte er im hintersten Winkel seines Geistes die diffuse Hoffnung, daß es vielleicht doch jemand anders gewesen sein könnte – auch wenn er nicht wußte, welche Vorzüge das haben sollte. Falls Sabella diejenige war, bestand der einzige vermutlich darin, daß sie bislang nicht zu seinen Klienten zählte.
Neben Monk hatte er nach anfänglichem Zögern auch Hester Latterly eingeladen. Sie war nicht offiziell an dem Fall beteiligt, was sie jedoch bei den anderen beiden auch nicht gewesen war. Andererseits besaß sie als einzige die Möglichkeit, Beobachtungen im Hause Carlyon anzustellen. Und schließlich war sie es gewesen, die ihm den Fall zugetragen und um seine Hilfe gebeten hatte. Er war es ihr schuldig, sie über die fortschreitende Aufklärung des Falls – vorausgesetzt, es gab sie überhaupt – auf dem laufenden zu halten. Nachdem Monk ihn in einer Nachricht hatte wissen lassen, er habe gesicherte Beweise, handelte es sich zweifelsohne um einen entscheidenden Moment.
Abgesehen davon wollte er Hester ganz einfach gern miteinbeziehen; die Gründe hierfür nahm er lieber nicht genauer unter die Lupe. So saß er nun also um zehn Minuten vor acht am Abend des 14. Mai in seiner Wohnung und fieberte der Ankunft der beiden mit für ihn untypischer Nervosität entgegen. Er wußte zwar, daß er sie perfekt überspielen konnte, doch war sie zweifellos da. Ein paarmal spürte er ein nervöses Flattern in der Magengegend, sein Hals schnürte sich leicht zusammen, und er änderte mehrmals die Meinung hinsichtlich dessen, was er sagen wollte. Der Entschluß, sie bei sich zu Hause und nicht in seiner Kanzlei zu empfangen, war dem Gefühl entsprungen, daß seine Zeit im Büro zu kostbar war. Er hätte sich daher Monks Ermittlungsergebnisse nur umrißhaft anhören, ihn weder eingehender befragen noch seine Ansichten oder instinktiven Vermutungen ergründen können. Zu Hause hatten sie den ganzen Abend, wurden durch nichts zur Eile gedrängt und mußten nicht unter der Devise leiden, Zeit sei Geld.
Da es sich zudem wahrscheinlich um einen unerquicklichen Bericht handelte, fühlte er sich zu etwas mehr Generosität verpflichtet, als Monk lediglich mit einem Wort des Dankes und seinem Honorar abzufertigen. Und wenn Hester bei Monks Enthüllungen persönlich zugegen war, brachte sie bestimmt mehr Verständnis für seine Entscheidung auf, den Fall niederzulegen, sollte es sich als der einzig vernünftige Weg erweisen. All das war vollkommen logisch, nichtsdestotrotz ging er es im Geiste immer wieder durch, so als bedürfe es einer Rechtfertigung.
Obwohl er die beiden erwartete, wurde er von ihrer Ankunft völlig überrumpelt. Er hatte sie nicht kommen hören, was vermutlich in einem Hansom geschehen war, denn keiner von beiden besaß eine eigene Kutsche. Als sein Butler Eames sie ankündigte, fiel er aus allen Wolken, und wenige Minuten später standen Hester und Monk auch schon im Raum. Monk war wie immer exzellent gekleidet. Nach Rathbones Einschätzung hatte sein Anzug mindestens soviel gekostet wie sein eigener und stammte wohl aus Polizistentagen, als er sich einen derartigen Luxus noch leisten konnte. Die Weste mit Schalkragen war modisch kurz, dazu trug er einen Vatermörder und eine ausladende Fliege.
Hesters Aufmachung war wesentlich bescheidener. Sie trug ein tailliertes Kleid in kühlem Smaragdgrün, unter dessen weiten Tulpenärmeln zwei weitere, enganliegende und weiß bestickte Unterärmel hervor lugten. Obwohl es jeglicher Extravaganz entbehrte, fand Rathbone es ausgesprochen reizend. Es war schlicht und unauffällig, sein Farbton brachte das schwache Rot ihrer Wangen hervorragend zur Geltung.
Man begrüßte einander formell, fast steif, dann forderte Rathbone sie auf, Platz zu nehmen. Er registrierte Hesters durch den Raum wandernden Blick und fand plötzlich selbst das eine oder andere daran auszusetzen. Es fehlte die weibliche Hand. Die Möbel stammten nicht aus Familienbesitz, sondern waren nachgekauft, und seit seinem Einzug vor elf Jahren hatte noch keine Frau hier gewohnt. Die Haushälterin und die Köchin zählte er nicht mit. Sie hielten lediglich in Schuß, was vorhanden war, fügten dem Raum aber nichts Neues hinzu,
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