Eine Stadt names Cinnabar
bewegter Körper bleibt solange in der ursprünglichen Bewegung, bis eine andere Kraft auf ihn einwirkt. Ganz einfach. Aber er konnte keine Ursache für diese andere Kraft entdecken. Die Maschine mit den Sperrholzflügeln zog immer noch ihre lautlosen Kreise um ihn, ihr gemessener Orbit hatte sich nicht verändert.
Eine Welle von Brechreiz fiel ihn an. Er schloß die Augen, schluckte, öffnete die Augen wieder und starrte. Er kreiste am oberen Rande einer kosmischen Röhre. Ihm war, als blicke er an der Innenwand dieser Röhre meilentief hinab. Das Grau war nicht mehr so einförmig. Es lichtete sich zu einem metallischen Schimmer und wurde schließlich an einem Punkt tief unten im Zentrum so gleißend hell, daß es weh tat. Vinces Augen versagten an diesem Punkt; es war, als wenn er in die Sonne blickte. Verwirrende Bilder ließen seine Augen tränen. Das war wieder der Kurs 412 (Englische Literatur): Edgar Allen Poe, der Rand des Malstroms. Er kam sich vor wie ein winziger Span, der gleich in den riesigen Wirbel abstürzen würde. Er hatte keine Vergleichsmöglichkeit; er konnte nicht irgendwie realistisch abschätzen, wie tief der Abgrund unter ihm war.
An der ihm näheren Seite der Röhre sah er ein paar dunkle Flecken; sie bewegten sich im Uhrzeigersinn, auf seine eigene Position bezogen. Weiteres Treibgut? Ob wohl irgendwo Menschen oder Apparate waren? Oder noch etwas anderes?
Die seitliche Kraft zog jetzt stärker. Schmerz verkrampfte seinen Bauch. Er schrie auf, und wie vorher erstarb der Ton auf seinen Lippen. Ihn schwindelte – jetzt glitt er in das Loch hinunter. Und an diesem Punkt sproßte der Schmerz wie eine Metastase auf, und das Grau verdunkelte sich zu Schwarz.
Als Vince aufwachte, standen zwei nackte Menschen über ihm. Zum ersten Mal in seinem Leben sah er leibhaftig eine nackte Frau.
Obregon hockte sich nieder und faßte das rechte Handgelenk des Jungen, nach dem Puls suchend. „Wie fühlen Sie sich? Haben Sie Schmerzen?“
„Der Magen … tut mir weh.“ Die Augen des Jungen hafteten einen Moment an Tourmaline, dann blickte er rasch zur Seite.
„Das ist ein Zeitreisender?“ fragte Tourmaline. „Er ist so jung.“
„Ist Ihnen schlecht?“ fragte Obregon.
Der Junge nickte.
„Mit einigem Glück ist das Schlimmste vorbei.“ Obregon nahm ein Glas mit einer sprudelnden Flüssigkeit vom Chemikalienbord und trat wieder neben den Jungen. Tourmaline half, ihm den Kopf hochzuhalten, damit er trinken konnte. Obregon stellte das leere Glas weg. „Wie heißen Sie?“
„Vince. Harry Vincent Blake. Wo bin ich?“ Er rappelte sich in sitzende Stellung hoch. „Ist das ein Hospital?“
„Ein Forschungslaboratorium am Tancarae-Institut.“
„Wo ist das?“
„In der Nähe der Vorstadt von Cinnabar.“
Verwirrt antwortete Vince: „Ich war in Denver. Was ist passiert? Wo liegt Cinnabar?“
„Timnath“, mischte sich Tourmaline ein, „er will uns nicht ansehen. Was hat er denn?“
„Ich glaube“, antwortete Obregon, „wir haben einen Zimperling aus dem Zeitstrom geangelt. Vince, stört es Sie, daß wir nackt sind?“
Vince wurde feuerrot und murmelte etwas Unverständliches.
„Wie merkwürdig“, sagte Tourmaline, „dann werde ich lieber unsere Sachen holen.“
Vince warf eine scheuen Blick auf sie, und sein Erröten vertiefte sich ins Unwahrscheinliche. Erstaunt schüttelte sie ihre blaue Mähne und schritt davon. Vincent sah ihren schwingenden Hüften nach. Dann wandte er sich wieder Obregon zu: „Was ist passiert?“
„Ich hatte gehofft, Sie würden mir ein paar Details geben können. Sie sind gereist.“ Er deutete auf den schwarzen Kasten mit den krönenden Holzflügeln. „Das da hat Sie hergebracht.“
„Was ist das? Als ich … losfuhr … da tauchte es plötzlich neben mir auf.“
„Ihre Zeitmaschine natürlich.“
„Doch nicht meine“, wehrte Vince verwirrt ab. „Ich weiß doch gar nicht, was das ist.“
„Ich sage es Ihnen ja: eine Zeitmaschine. Haben Sie sie nicht gebaut?“
„Nein.“
„Waren Sie lediglich ein Experimentierobjekt für den Erfinder?“
„Nein. Ich sage Ihnen doch …“
„Sie haben tatsächlich keine Ahnung. Gewiß. Das ist seltsam“, sagte Obregon.
Da kam Tourmaline zurück. Sie hatte ein knielanges saphirblaues Hemdchen an. „Ich hoffe, das ist züchtig genug.“ Sie warf Obregon ein braunes grobgewebtes Kleidungsstück zu.
Obregon wand sich das Ding um die Hüften, steckte das freie Ende unter. „Wissen Sie, was eine
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