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Eine Stadt wie Alice

Eine Stadt wie Alice

Titel: Eine Stadt wie Alice
Autoren: Neville Shute
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Hollandkinder. Zwar litt sie an
Schwäche, fühlte sich schlaff und matt, kein Wunder bei dieser Kost, schlief
aber nachts meistens tief, bis sie aufwachte, was freilich häufig geschah.
Eileen ging es schlechter. Sie war älter, fand auf dem Fußboden keinen Schlaf;
die Widerstandskraft ihrer Jugend hatte sie eingebüßt und nahm zusehends ab.
    Am fünfunddreißigsten Tage starb die
achtjährige Esmé Harrison. Sie hatte die letzten Nächte kaum mehr geschlafen
und viel geweint, war von Tag zu Tag dünner und schwächer geworden; das Fieber
war auf hundertvier Fahrenheit gestiegen. Und dann kam zu der Ruhr noch
Malaria. Mrs. Horsefall erklärte dem Hauptmann, das Kind brauche einen Arzt und
müsse ins Spital. Yoniata antwortete, es täte ihm leid, aber in Kuala Panong
sei kein Spital. Er würde gern einen Arzt kommen lassen, aber die Ärzte seien
alle beim Kampf der siegreichen Armee des Kaisers. Am gleichen Abend fiel Esme
in langanhaltende Krämpfe.
    Am Vormittag wurde sie auf dem
mohammedanischen Friedhof begraben. Außer ihrer Mutter durfte nur eine der
Frauen dabei sein. Diese las aus ihrem Gebetsbüchlein ein Kirchengebet. Malaien
und japanische Soldaten standen um sie herum und verstanden kein Wort. Dann war
alles vorbei. Das Leben ging weiter, aber die Kinder lebten in einer
Todesfurcht, die sie bis in den Schlaf und ihre Träume verfolgte.
    Am Ende der sechsten Woche musterte
Hauptmann Yoniata nach dem Antreten die abgezehrte Schar der Frauen. Sie
standen auf der Veranda im Schatten, an der Hand ihre Kinder, und sahen ihn an.
Alle waren sie mager und fast alle krank.
    «Ladies», sprach er sie an, «die
Kaiserlich Japanische Armee ist eingezogen in Singapore, alles Malaya befreit.
Jetzt Gefangenencamps werden gebaut für Männer und für Frau und Kinde. Camps
sind in Singapore. Ihr dorthin gehen. Bedaure, euer Leben hier unbequem, aber
jetzt besser. Morgen ihr starten nach Kuala Lumpur, nicht mehr, als ihr können
gehen jeden Tag. Von Kuala Lumpur ihr mit Eisenbahn nach Singapore, ich denke.
In Singapore ihr seid sehr glücklich. Danke.»
    Von Panong nach Kuala Lumpur sind es
siebenundvierzig Meilen. Es dauerte eine Minute, bis die Frauen begriffen
hatten, was der Befehl für sie bedeutete, und bis Mrs. Horsefall das Wort
ergriff: «Auf welche Weise reisen wir nach Kuala Lumpur? Im Lastwagen?»
    «Bedaure, kein Wagen. Ihr gehen. Nicht
mehr, als ihr können gehen jeden Tag. Japanische Soldaten euch helfen.»
    «Mit all den Kindern und Säuglingen
können wir doch nicht zu Fuß gehen», beschwor ihn Mrs. Horsefall. «Wir müssen
einen Lastwagen haben.»
    Das waren «schlechte Gedanken»; der
Blick des Hauptmannes wurde hart.
    «Ihr gehen», wiederholte er.
    «Aber was sollen wir denn mit unserem
Gepäck machen?»
    Die Antwort lautete: «Ihr tragen, was
ihr kann. Gepäck werden nach euch geschickt.» Sprach’s, machte kehrt und ging.
    Der Rest des Tages verging in stummer
Verzweiflung. Die mit größerem Gepäck wühlten trostlos darin herum und mühten
sich, das Wichtigste in Bündel zu schnüren, die nicht allzu schwer wären. Mrs.
Horsefall, die früher einmal Lehrerin war und jetzt so etwas wie die Wort- und
Anführerin der Gesellschaft wurde, ging von einer zur anderen Gruppe, half und
beriet. Sie hatte selber ein Kind, den zehnjährigen John. Den brauchte sie
wenigstens nicht zu tragen, nur seine Sachen. Mütter mit kleineren Kindern
hatten es viel schwerer.
    Da Joans und Eileens Gepäck im Austin
geblieben war, brauchten sie sich darüber nicht mehr den Kopf zu zerbrechen.
Für ihr bißchen Habe genügte Joans Brotbeutel. Von den Kaufleuten in Panong
hatten sie drei Eßschüsseln und Löffel, ein Messer, eine Gabel und jede ein
Kleid gekauft. Dies wickelten sie in die zwei Decken, die sie ebenfalls
erstanden hatten, verschnürten das Ganze so, daß man es auf den Rücken oder
über die Schulter hängen konnte. Joan sollte den Brotbeutel und Eileen diesen
Packen tragen. Schwieriger war es mit ihren Schuhen, die einst elegant, doch
zum Marschieren kaum brauchbar waren.
    Als sie am Abend Freddie und Jane zur
Ruhe gelegt hatten und in einer ruhigen Ecke beim schlummernden Baby saßen,
sagte Mrs. Holland gefaßt: «Ich gebe nicht auf, mein Liebes, aber ich glaube
kaum, daß ich weit laufen kann. Es geht mir in letzter Zeit jämmerlich
schlecht.»
    «Es wird schon gut werden», suchte Joan
zu beruhigen und wußte dabei im innersten Herzen, daß ihnen nichts Gutes
bevorstand. «Du bist besser in Form als die
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