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Eine Stadt wie Alice

Eine Stadt wie Alice

Titel: Eine Stadt wie Alice Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neville Shute
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Ihre Kleidung bestand aus einem
abgetragenen, blau-weiß gewürfelten Sarong mit weißem Jäckchen. Als Konzession
an ihre in all den Jahren wieder verzärtelten Fußsohlen trug sie Sandalen und
zum Schutz gegen die Sonnenstrahlen einen einfachen gelben Chinesenschirm. Ihr
Haar war nach malaiischer Sitte auf dem Scheitel mit einem großen Kamm
zusammengehalten. Als Gepäck hatte sie einen kleinen Palmblätterkorb, aber —
wie Mrs. Wilson-Hays ihrem Gatten erzählte — mit sehr wenig drin: einer
Zahnbürste, aber keiner Pasta, einem Handtuch, einem Stück antiseptischer Seife
und einigen Drogen; zum Wechseln außerdem einen neuen Sarong mit einem dazu
passenden, geblümten baumwollenen Oberteil; ferner als Mitbringsel für ihre
Freundinnen drei kleine Woolworth-Broschen und zwei Ringe, aber keine
Kosmetika, das war alles.
    «Sehr vernünftig von ihr!» fand
Wilson-Hays. «Wäre sie wie eine Lady dahergekommen, so hätte sie ihre alten
Freunde und Wohltäter nur in Verlegenheit gesetzt. Die Engländerinnen und
Engländer in Kota Bahru waren zwar einigermaßen entsetzt; man hörte die
üblichen Redensarten von Mangel an Würde usw. Aber als ich sie so losfahren
sah, sagte ich mir: ‹Das ist das richtige! Während des ganzen Krieges im Osten
ist sie ja auch so herumgelaufen, und da hat kein Mensch etwas von Mangel an
Würde gesagt!›»
    Von Kota Bahru nach Kuala Telang
braucht man im Jeep gut und gern einen vollen Tag. Die Wege sind miserabel;
vier größere Flüsse müssen in einem als Notfähre dienenden Boot überquert werden;
außerdem geht es über etliche Furten. Nach vierzehn Stunden traf sie in der
Dunkelheit in Kuala Telang ein.
    Das Dorf lag im Mondschein und war
sogleich in heller Aufregung. Alle kamen aus den Hütten gestürzt, die Sarongs
noch lose vom Schlafen. Der Jeep hielt vor dem Haus des Dorf Oberhauptes. Joan
stieg aus; sie war leicht erschöpft, legte jedoch wie bei ihrem ersten Besuch
die Handflächen in Gebetshaltung aneinander und sprach auf malaiisch: «Ich bin
wiedergekommen, Mat Amin, damit Ihr nicht glaubt, die weißen Mems hätten Euch
vergessen, nun ihre Not dahin ist.»
    Und er antwortete: «Seit Ihr von uns
fort seid, haben wir immer an Euch gedacht und von Euch gesprochen.»
    Da drängte sich auch schon die
Einwohnerschaft um die beiden. Joan sah Fatimah mit einem Kleinen im Arm näher
kommen, und ein zweites, den Sarong der jungen Mutter umklammernd, trottete
nebenher. Diese aber drängte sich durch die Menge, faßte die alte Freundin bei
der Hand und sagte: «Zu lange haben wir uns nicht mehr gesehen.»
    Und da kam auch Raihana herbeigeeilt —
und Safirah binti Yacob, dort Safirah binti Taib; hier der kleine schielende
Ibrahim, der inzwischen zum Jüngling herangereift war, und sein Bruder Samat,
die alte Zubeidah und Miriam und dazu eine Fülle neuer Gesichter; junge Männer,
die bald nach Joans Abflug von Malaya glücklich aus der Zwangsarbeit
heimgekehrt waren. Fatimah hatte den jungen Derahman bin Ismail geheiratet und
stellte ihn nun der weißen Mem vor.
    Diese verneigte sich und bedauerte,
keinen Schal bei sich zu haben, um ihn vors Gesicht zu ziehen, denn so gehörte
es sich, wenn man einem fremden Manne vorgestellt wird. Statt dessen hielt sie
die Hand vor und sagte: «Entschuldigt, daß mir der Schleier fehlt!»
    «Macht nichts!» antwortete Ismail und
verneigte sich.
    «Er weiß ganz genau», fiel Fatimah ein,
«und die andern auch, daß die weißen Mems, als sie bei uns gewohnt haben, ihr
Gesicht nie verhüllten. Andere Völker, andere Sitten. Ach, Dschoon, ich bin so
glücklich, daß du wieder bei uns bist!»
    Nachdem sie mit Mat Amin für die
Unterbringung ihres Chauffeurs gesorgt hatte, ging Joan mit Fatimah in das Haus
Derahmans. Dort fragten die jungen Eheleute, ob sie zu Abend gegessen habe, und
als sie wahrheitsgemäß verneinte, bereiteten sie ihr ein köstliches Nachtmahl,
bestehend aus Reis und Blachan, einem stark gewürzten Gericht aus frischen
Krabben und Fisch, das die Malaien in einem aufwärtsgebogenen Leitungsrohr
aufzubewahren pflegen. Und nachdem sie diese Speise genossen, machte die Müde
aus ihrem Palmblätterkorb ein Kissen, legte sich wie so unzählige Male früher
auf eine Matte, lockerte den Sarong und schlief.
    Nachdem sie sich drei Jahre lang wieder
ans Bett gewöhnt hatte, wäre es unrichtig, wollte man sagen, sie habe gut
geschlafen. Sie wachte im Laufe der Nacht etliche Male auf, lauschte den
Nachtgeräuschen, sah, wie das Mondlicht die

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