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Eine Stadt wie Alice

Eine Stadt wie Alice

Titel: Eine Stadt wie Alice Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neville Shute
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lehrte sie Sandburgen bauen und
«Mühle» spielen. Das Schema des Mühlebretts zeichnete sie mit dem Finger in den
feuchten Meeressand. Sie ging viel schwimmen, und als die Erntezeit nahte,
arbeitete sie eine Woche in den Reisfeldern. Sie hatte in den drei Jahren
Geduld gelernt, und die Wartezeit kam ihr wohl zustatten. Denn sie dachte
darüber nach, was sie weiterhin, nach Fertigstellung des Brunnens und
Waschhauses, mit ihrer Zeit, ihrer Arbeitskraft und ihrem Geld Nützliches
anfangen könne. So vergingen drei Wochen, und sie empfand keine Langeweile.
    Die Brunnengräber und der Zement trafen
ungefähr gleichzeitig ein. Jene bildeten eine Familie, bestehend aus dem alten
graubärtigen Suleiman und seinen Söhnen Yacob und Hussein. Am ersten Tag
besichtigten, begutachteten und vermaßen sie den in Aussicht genommenen Platz,
mußten sich alles Für und Wider geduldig anhören, denn sie waren die
Sachverständigen, doch als endlich auch sie ihren Segen zum Werke gegeben
hatten, ging es hurtig und gut vonstatten. Sie arbeiteten von Tagesanbruch bis
in die Dunkelheit.
    Yacob schaufelte unten im Schacht;
Vater und Bruder schafften oben die hinaufgeworfene Erde beiseite, mauerten
jedes ausgehobene Stück sogleich mit Backsteinen aus und stützten das Mauerwerk
mittels eingerammter Pfähle und Verstrebungen.
    Vater Suleiman war aber nicht nur ein
erfahrener Brunnenbauer, sondern zugleich für die Dörfer und Städte der
malaiischen Ostküste eine Fundgrube von Neuigkeiten und Auskünften aller Art,
denn da er überall, teils wie hier, neue Brunnen anlegte, teils die alten
auszubessern hatte, kam er Von Zeit zu Zeit überall wieder hin, und wie auch
wohl anderwärts saß nun das ganze Dorf, Männer und Frauen, um die Baustelle
herum, verfolgte so den Fortschritt der Arbeit, schwatzte, fragte bald dies,
bald jenes und hörte so manche Neuigkeit von den Verwandten und Bekannten im
Osten der Halbinsel. Und so fragte ihn eines Nachmittags Mem Paget, ob er aus
Kuantan sei.
    «Nein, aus Batu Sawah», war seine
Antwort. «Das liegt zwei Wegstunden von Kuantan. Wir sind in Batu Sawah zu
Hause, aber viel unterwegs.»
    Und nicht ohne eine gewisse Überwindung
fragte Joan weiter, ob er sich noch an jenen japanischen Hauptmann erinnere,
der im ersten Jahr der japanischen Okkupation in Kuantan kommandierte: «Einen
gewissen Sugamo.»
    «Sugamo?» versetzte der Alte. «Ein
böser Mensch! Wir waren froh, als er wegging. Hauptmann Ichino, sein
Nachfolger, hat sich anständiger aufgeführt.»
    Anscheinend wußte Suleiman noch nichts
von Sugamos Aburteilung, was Joan verwunderte. Sie hatte bestimmt angenommen,
die Untersuchungskommission für Kriegsverbrechen habe auch in Kuantan
Nachforschungen angestellt. Nun teilte sie dem Alten mit, Sugamo habe an der
Burma-Siam-Bahn Grausamkeiten und Morde verübt, sei von den Alliierten bei
Kriegsende gefangengenommen, als Mörder zum Tode verurteilt und in Penang
gehenkt worden.
    «Das freut mich zu hören», sagte Suleiman,
«das muß ich gleich meinen Söhnen erzählen», und stieg in den Schacht, wo Yacob
sogleich die Schaufel und Hussein die Backsteine ruhen ließen.
    Beide äußerten sich zu der Neuigkeit,
machten ihren Gefühlen Luft, gruben und mauerten weiter, und als der Vater
wieder nach oben kam, fragte Joan: «Hat er nicht auch in Kuantan Verbrechen
begangen?»
    Eines, das stand ihr noch grauenhaft
nahe vor Augen; sie wollte es selbst nicht erwähnen, und dennoch trieb es sie,
zu erfahren, ob jene Schandtat vom Volk nicht vergessen sei.
    «Es wurden viele gefoltert», sagte
Suleiman.
    «Ja», sagte sie tonlos, «das habe ich
selbst gesehen.» Es mußte heraus. Warum sollte sie zu dem alten Mann nicht
davon sprechen? Anklage und Totenklage klangen aus ihren Worten: «Als wir
Frauen dahinsiechten, hat ein Kriegsgefangener uns genährt und geheilt. Der
Japaner hat ihn ertappt, ihn ans Kreuz geschlagen, Nägel durch seine Hände
getrieben, ihn zu Tode geschlagen —»
    «Ich weiß, ich weiß», fiel der Alte
ein; «er war dann im Spital in Kuantan.»
    «Wann?» Mit aufgerissenen Augen fuhr
Joan zurück. «Alter Mann, wann war er im Spital? Er ist doch gekreuzigt worden,
er ist doch gestorben...»
    «Vielleicht war es ein anderer. — Heh!
Yacob!» rief Suleiman in den Brunnenschacht: «Der englische Soldat, der im
ersten Kriegsjahr in Kuantan gekreuzigt und geschlagen worden ist — die
englische Mem kennt ihn. Sage mir: Ist der Mann gestorben?»
    «Vater!» fiel der jüngere Sohn,
Hussein,

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