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Eine Stadt wie Alice

Eine Stadt wie Alice

Titel: Eine Stadt wie Alice Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neville Shute
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ein: «Das war ja kein Engländer. Der geschlagen wurde, das war ein
Australier. Er wurde an einen Baum geschlagen, weil er Hühner gestohlen hatte.»
    «Stimmt!» sagte der Alte: «Schwarze
Hühner. — Ist er nun gestorben oder lebt er noch?»
    Aus der Brunnentiefe scholl Yacobs
Stimme: «Hauptmann Sugamo hat ihn in der Nacht heruntergeholt. Man hat ihm
zuerst die Nägel aus den Händen gezogen. Er lebt.»
     
     
     

Fünftes Kapitel
     
     
    An jenem Tage im Juli 1942 war abends
ein japanischer Korporal zu Hauptmann Sugamo ins Haus des
Distriktsbevollmächtigten zu Kuantan gekommen und hatte gemeldet, der
Gekreuzigte lebe noch, was der Hauptmann sonderbar und bemerkenswert fand, und
da er bis zum Abendreis noch eine halbe Stunde Zeit hatte, schlenderte er in
den Vergnügungspark, um sich den Mann anzusehen.
    Mit dem Gesicht, der linken Wange,
gegen den Baum, hing der Gemarterte immer noch an den Händen. Aus der
schwärzlichen Masse, die sein Rücken war, war das Blut an den Beinen
heruntergeströmt und hatte am Boden eine schwarze Pfütze gebildet. Sie war nun
ausgetrocknet. Eine Unmenge Fliegen saß darauf und auf dem ganzen Körper. Und
dennoch lebte der Mensch. Da war kein Zweifel. Als Sugamo von rechts her dem
Gesicht sich näherte, schlug er die Augen auf, die ihn ansahen und ihn
erkannten.
    Es ist zu bezweifeln, ob der Westen die
Vorgänge in einem japanischen Hirn jemals verstehen wird. Als der Japaner sah,
daß der Australier auf der Schwelle des Todes ihn erkannt hatte, verneigte er
sich in Ehrfurcht vor dem zerfetzten Leibe und fragte im vollsten Ernst: «Kann
ich für dich, ehe du stirbst, noch etwas tun?»
    Und der Ringer sprach deutlich
vernehmbar: «Du dreckiger Bastard. Ich will eins von deinen schwarzen Hühnern
und eine Flasche Bier.»
    Mit völlig ausdruckslosem Gesicht stand
Sugamo da und starrte auf das menschliche Wrack, das er selbst an den Baum
hatte nageln lassen. Dann machte er kehrt, ging nach Hause, rief, ohne Licht zu
machen, nach seiner Ordonnanz und befahl, eine Flasche Bier und ein Glas zu
bringen, aber die Flasche nicht zu entkorken.
    Der Mann erklärte sofort, sie hätten
kein Bier im Haus. Das hatte der Hauptmann gewußt, sandte aber die Ordonnanz in
die Stadt, in alle chinesischen Wirtshäuser und überall hin, ob er irgendwo
eine Flasche Bier auftreiben könne. Nach einer Stunde kehrte der Mann zurück.
Er fand Sugamo noch in der gleichen Haltung im Dunkel, so wie er ihn verlassen
hatte, und teilte ihm mit dem größten Bedauern mit, es gebe in Kuantan kein
Bier. Er wurde entlassen und war darüber heilfroh.
    Ein Tod war für den japanischen
Hauptmann ein Gottesdienst. Seine Anrede an den Australier war eine rituelle
Handlung gewesen, und da er sich vor Zeugen, Glaubensgenossen, erbötig gemacht
hatte, die letzten Wünsche seines Opfers zu erfüllen, war er persönlich dazu
verpflichtet, dafür zu sorgen, daß dies geschah. Wäre eine Flasche Bier
erhältlich gewesen, so hätte er eines seiner schwarzen Leghorns geopfert,
gekocht und mit dem Bier dem Sterbenden an den Baum geschickt. Vielleicht sogar
das Tablett selbst hingetragen und durch solche Tat den ihm unterstellten
Truppen ein Beispiel von Ritterlichkeit und «Bushido» gegeben. Nun aber wollte
es das Unglück, daß die Flasche Bier nicht zu beschaffen war! Und da mithin des
Sterbenden Wünsche nicht restlos erfüllt werden konnten, wie es «Bushido»
gebot, hatte es auch keinen Sinn, eines der schönen schwarzen Leghorns zu
opfern. Da es ihm also nicht vergönnt war, die dem Ritual entsprechende Rolle
zu spielen und durch Erfüllung der Wünsche des Sterbenden «Bushido» zu zeigen,
durfte er dem Australier nicht erlauben, zu sterben. Er wäre sonst selbst
verdammt gewesen.
    Er rief nach dem Korporal und befahl
ihm, an der Spitze seiner Korporalschaft mit einer Tragbahre in den
Vergnügungspark zu marschieren, die Nägel herauszuziehen, den Mann vorsichtig,
ohne ihm weiteren Schaden zuzufügen, vom Baum herunterzunehmen, mit dem Gesicht
nach unten auf die Bahre zu legen und ins Spital zu überführen.
     
    «Er lebt...» Die Nachricht wirkte auf
Joan, als ob sich ein Tor weit vor ihr öffne. Ungesehen entschlüpfte sie dem
Gedränge am Brunnen, und nun sitzt sie am Strand, vorn auf der Landzunge im
Schatten des Casuarinabaumes. Sie muß über das Undenkbare nachdenken...
    Sonne glitzert in perlmutternen
Ebbenrillen. Der Strand ist so weiß, die See so blau... ein berückender
Anblick. Ihr ist, als sei sie sechs Jahre

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