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Eine Stadt wie Alice

Eine Stadt wie Alice

Titel: Eine Stadt wie Alice Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neville Shute
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Schwester
Phyllis gab Joyce Bowen folgende Aufschlüsse: «Sie ist eine Eurasierin, beinah
so dunkel wie eine Malaiin, und hat einen Chinesen namens Bun Tai Lin
geheiratet, den Besitzer des hiesigen Kinos. Also eine ausgesprochene Mischehe.
Aber die beiden sind anscheinend glücklich. Sie ist eine Römisch-Katholische —
natürlich!» Wieso das natürlich sein sollte, hat Joan niemals erfahren.
    Bun Tai Lins Haus, das einen etwas
baufälligen Eindruck machte, stand auf einer Anhöhe am Hafen. Mit dem Wagen kam
man nicht bis ans Haus, sondern mußte ihn unten an der Straße lassen und einen
kurzen, mit Abfällen aller Art verunzierten Steig emporklimmen. Phyllis, geb.
Williams, war glücklicherweise daheim. Sie war eine liebenswürdige Frau mit
vier Kindern am Rockschoß und sichtlich auf dem besten Wege, ein fünftes zu
produzieren. Erfreut geleitete sie den Besuch in ein ziemlich armseliges
Zimmer, dessen einziger Schmuck ein Satz zinnerner Bierkannen war und eine
große farbige Reproduktion, die das britische Königspaar im Krönungsornat
darstellte.
    «Ja, freilich, ich erinnere mich noch
genau an den armen Jungen», sagte sie in fließendem Englisch. «Ich habe ihn
doch beinahe ein Vierteljahr lang gepflegt. Na — der war in einem schönen
Zustand, als er eingeliefert wurde! Daß der die Nacht überleben würde, hat keiner
der Ärzte gedacht. Und er hat’s doch geschafft. Der muß eine gesunde Natur
gehabt und von jeher vernünftig gelebt haben, sonst hätte er es nie
überstanden. Er hat immer gesagt: ‹Ein Hund, ein Hund — wird schnell gesund!› —
Sie waren wohl die Führerin der Frauen von Panong?» wandte sie sich an Joan.
«Ich habe mir’s gleich gedacht, daß Sie das sein müssen. Komisch, daß Sie jetzt
hierher kommen! Denken Sie, er hat immer wissen wollen, wo Sie mit Ihrer
Gesellschaft hingeraten sind, und gefragt, ob es jemand weiß. Wir, wir haben
natürlich keine Ahnung gehabt, und den verdammten Sugamo danach zu fragen, das
hat sich niemand getraut. Wie war doch Ihr Name —»
    «Paget. Joan Paget.»
    «Nein, nein!» Die Eurasierin guckte
verdutzt. «Das stimmt nicht. Das heißt, dann waren Sie’s eben nicht, nach der
er verlangt hat. Komisch. Nein, bestimmt nicht. Der Name fällt mir im Moment
nicht ein, aber es war ein anderer. Ich hatte gedacht, Sie wären es.»
    «Vielleicht Mrs. Frith?»
    Phyllis schüttelte den Kopf, und bevor
Joan die andern aufzählen konnte: «Na, lassen Sie nur; es wird mir schon
einfallen!»
    Was sie sonst noch zu berichten wußte,
war Joan in der Hauptsache bereits bekannt. Sobald der Patient halbwegs
wiederhergestellt war, schaffte man ihn in ein Gefangenenlager bei Singapore,
und danach hatte man nichts mehr von ihm gehört.
    «Aber ich denke, er wird sich schon mit
der Zeit wieder aufgerappelt haben. Der Doktor meinte freilich, es könne noch
Jahre dauern, bis die Rückenmuskeln normal funktionieren - wenn sie überhaupt
je wieder in Ordnung kommen!»
    Weiter wußte die ehemalige Pflegerin
Harmans nichts zu erzählen. Die drei verabschiedeten sich und gingen, einer
hinter dem anderen, den schmalen, verwahrlosten Steig zur Straße.
    Sie waren noch nicht ganz unten, als
ihnen Phyllis von ihrer Veranda aus nachrief: «Sie! Jetzt ist mir der Name
eingefallen! Mrs. Boong. Von der hat er immer wieder angefangen! Mrs. Boong.
War die auch bei Ihnen?»
    Joan lachte hell auf. «Mrs. Boong!»
rief sie. «Das bin ich! So hat er mich getauft!»
    «Hab ich’s nicht gleich gesagt? Ich hab
doch gewußt, daß Sie das sein müssen!» rief die Frau und war hörbar befriedigt.
    Auf der Rückfahrt zum Distriktsgebäude
kamen sie an dem Vergnügungspark vorbei. Auf den Tennisplätzen waren jetzt
wieder die Netze gespannt und zwei Paare mitten im Spiel, unter ihnen ein
junger Weißer, dessen Partnerin eine braune sportliche Schönheit war.
    Über den Tennisplätzen ragte der Baum.
In seinem Schatten saßen malaiische Frauen auf ebendem Fleck, den das Blut
getränkt hatte, und tratschten; ihre Kinder spielten rings um den Baum, und
alles war friedlich und froh...
    Am folgenden Morgen flog Joan mit der
«Dakota» nach Singapore. Dort wohnte sie gegenüber der Kathedrale im «Hotel
Adelphi», das ihr Mrs. Wilson-Hays wärmstens empfohlen hatte. Und von dort
schrieb sie ein paar Tage danach einen acht Seiten langen Brief. Die Tinte war
stellenweise verwischt oder aufgelöst, aber nicht von Tränen, nur von
Schweißtropfen. Denn die Luft von Singapore ist ebenso heiß wie feucht.

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