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Eine Stadt wie Alice

Eine Stadt wie Alice

Titel: Eine Stadt wie Alice Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neville Shute
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Brief ankam, ein
kleines Verhör anzustellen.
    Aber er kam nicht. Es wurde halb eins;
ich wartete noch bis eins, und als er noch immer nicht da war, ging ich zum
Lunch.
    Um drei fühlte ich mich ein wenig
beunruhigt. Die Sache war meinen Händen entglitten. Wenn er verschwunden und
nicht mehr zu finden wäre, würde Joan Paget mir ewig böse sein, und mit Recht.
In einem freien Augenblick rief ich von der Kanzlei aus das «Kingsway Palace
Hotel» an, verlangte nach Mr. Joseph Harman und erhielt die Antwort, er sei
nach dem Frühstück weg und habe nicht hinterlassen, wann er zurück sei. Ich
ließ ihm ausrichten, er möge mich sogleich nach seiner Rückkunft anrufen.
    Der Anruf kam nicht.
    Um zweiundzwanzig Uhr dreißig rief ich
von zu Hause nochmals das Hotel an. Mr. Harman war noch nicht zurück.
    Am Morgen um acht läutete ich abermals
an. Es hieß, Mr. Harman habe sein Zimmer nicht aufgegeben, aber auch nicht
benutzt, sein Gepäck stehe noch dort.
    Ich eilte in meine Kanzlei, bat den
jungen Derek Harris zu mir.
    «Harris», sagte ich, «Sie müssen mir
diesen Mr. Harman suchen. Sie kennen ihn ja.» Ich orientierte ihn kurz und bat
ihn, zuerst nochmals im Hotel nachzufragen, und wenn dort noch immer nichts
bekannt sei, bei den verschiedenen Polizeistellen Umfrage zu halten. «Ich hatte
leider für ihn eine unwillkommene Nachricht. Möglich, daß er irgendeine
Unüberlegtheit — vielleicht hat er sich betrunken...»
    Nach kaum einer Viertelstunde war mein
Harris wieder zurück.
    «Sie sind der reinste Hellseher»,
lachte er. «Heute früh hat man ihn in betrunkenem, ziemlich rebellischem
Zustand in der Bow Street eingeliefert. Über Nacht hatten sie ihn im
‹Abkühler›.»
    «Er ist ein Freund von Miss Paget»,
sagte ich. «Gehen Sie, bitte, zur Bow Street und lassen Sie sich zu ihm führen!
Wer hält Gericht über ihn?»
    «Mr. Holer.»
    Ich sah auf die Uhr. «Eilen Sie sich!
Bleiben Sie bei ihm, und wenn er kein Geld mehr hat, legen Sie die Buße für ihn
aus! Sobald alles in Ordnung ist, rufen Sie mich, bitte, gleich an und kommen
mit ihm im Taxi in meine Wohnung, auf Wiedersehen!»
    Im Büro lag nichts vor, was dringend
gewesen wäre oder nicht auch von Lester erledigt werden konnte, so daß ich
rechtzeitig daheim war, um meine Bedienerin noch bei der Arbeit zu finden. Ich
bat sie, das Bett im Gästezimmer zu richten und soviel Essen einzukaufen, wie
sie auf meine Rationierungskarte erhalten könne.
    Nach einer halben Stunde erschien
Harris mit Harman, der einen etwas seltsamen Eindruck machte. Er hatte seinen
Hut, einen Schuh und den Kragen verloren, war aber guter Dinge und nach der
Nacht in der ‹Abkühlzelle› wieder nüchtern. Ich ging ihm entgegen und begrüßte
ihn: «Guten Morgen, Mr. Harman! Es scheint mir am besten, Sie bringen sich hier
etwas in Ordnung. In dem Zustand können Sie nicht ins ‹Kingsway Palace›.»
    Er sah mich treuherzig an. «Entschuldigen
Sie, ich war ein bißchen blau.»
    «Das kommt mir auch so vor. Na, wir
haben ja genug heißes Wasser für ein Bad — .» Ich zeigte ihm, wo. - «Rasierzeug
ist auch da. Ein frisches Hemd mit Kragen kann ich Ihnen ebenfalls zur
Verfügung stellen. Schauen Sie, ob Ihnen ein Paar von meinen Schuhen paßt! Wenn
sie zu klein sind, lasse ich passende kommen.»
    Er wehrte ab. «Wozu geben Sie sich
soviel Mühe mit mir? Ich bin all right!»
    «Rasiert und gebadet werden Sie noch
all righter sein!» lachte ich. «Miss Paget würde es mir nie verzeihen, wenn ich
ihren alten Kriegskameraden so herumlaufen ließe!»
    Er blickte verwundert, aber ich ließ
ihn stehen, machte die Badezimmertür zu und begab mich ins Wohnzimmer, wo
Harris auf mich wartete. Ich dankte ihm für seine Bemühungen und fragte nach
der Höhe der Buße.
    «Vierzig Shilling», sagte er. «Ich habe
sie gleich bezahlt.»
    Ich gab ihm den Betrag. «Ist Harman
ganz abgebrannt?»
    «Er hat noch vier Shilling, viereinhalb
Penny. Er meint, er hätte etwa siebzig Pfund bei sich gehabt, ist aber nicht
ganz sicher.»
    «Es scheint ihm nicht viel dran zu
liegen?»
    «Anscheinend nicht», lachte Harris, «er
ist quietschfidel.»
    Ich schickte Harris wieder in die
Kanzlei und setzte mich an den Schreibtisch, um einige Briefe zu schreiben. Als
Mr. Harman aus dem Badezimmer kam, schaute er verlegen drein. Wiederum fiel mir
sein Gang auf, der so merkwürdig steif war.
    «Was soll man da sagen», bemerkte er in
seiner schleppenden Sprechweise. «Die Spielratzen, mit denen ich zusammen war,
haben

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