Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Stadt wie Alice

Eine Stadt wie Alice

Titel: Eine Stadt wie Alice Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neville Shute
Vom Netzwerk:
das ganze Geld, das ich bei mir hatte. Mr. Harris hat für mich geblecht.
Aber ich habe noch Geld, besser gesagt: einen sogenannten Kreditbrief der Bank
in Brisbane. Den werde ich einlösen und ihm meine Schulden bezahlen.»
    «Schon gut! Hatten Sie ein Frühstück?»
    Er verneinte.
    «Da werden Sie wohl etwas essen
wollen?»
    «Ja, ich weiß nicht... Vielleicht
bekomme ich etwas im Hotel; ich werde gleich hin —»
    «Das werden Sie, bitte, nicht!»
    Ich erklärte ihm, daß meine Putzfrau
schon etwas angerichtet habe und ging hinaus, um es zu holen. Als ich
zurückkam, stand er sinnend am Fenster. Ich erinnerte ihn daran, daß er mir
einen Brief hatte bringen wollen, er aber sah beiseite und murmelte: «Ich habe
es mir anders überlegt. Ich lasse es sein.»
    «Sie lassen es sein?»
    «Richtig. Ich schreibe den Brief
nicht.»
    «Das ist aber schade», bemerkte ich
freundlich.
    «Möglich. Ich habe mir’s überlegt: Ich
schreibe den Brief nicht. Darum bin ich auch um zwölf nicht gekommen.»
    «Wie Sie wollen, Mr. Harman. Aber
vielleicht erzählen Sie mir noch ein bißchen mehr davon, wenn Sie mit dem
Frühstück fertig sind.» Damit wandte ich mich meiner Korrespondenz zu.
    Die Frau hatte das Frühstück
aufgetragen. Er folgte ihr ins Eßzimmer und trat nach etwa einer Viertelstunde
wiederum ins Wohnzimmer. «Ich gehe jetzt», sagte er unbeholfen. «Wenn’s Ihnen
recht ist, komme ich später vorbei und gebe die Schuhe ab.»
    Ich stand auf und bot ihm Zigaretten
an. «Möchten Sie mir nicht, ehe Sie gehen, einiges von sich erzählen?» fragte
ich. «Ich schreibe heut oder morgen Miss Paget, und sie möchte sicher gern
alles wissen.»
    Ohne zu rauchen hielt er die Zigarette.
«Sie wollen ihr schreiben, daß ich hier war?»
    «Natürlich.»
    Er stand einen Augenblick stumm, sah
mich an und sagte dann in seiner langsamen Queensländer Art: «Es ist
gescheiter, Sie denken nicht mehr daran, Mr. Strachan. Schreiben Sie nichts von
mir!»
    Ich hielt ihm ein angezündetes
Streichholz unter die Zigarette und fragte: «Wegen der Erbschaft, von der ich
Ihnen sprach...?»
    «Sie meinen das Geld?»
    «Ja.»
    Er lächelte bescheiden. «Dagegen, daß
sie Geld hat, hätte ich nichts, dagegen hat ein Mann nie etwas. Nein, es ist
wegen Willstown.»
    Ich verstand ihn nicht. «Lieber Joe»,
sagte ich, «es wird Ihnen doch nichts schaden, wenn Sie sich ein paar Minuten
zu mir setzen und mir einiges erzählen!»
    Die Anrede «Joe» wählte ich mit
Absicht; ich hoffte, er werde dann etwas mehr aus sich herausgehen, aber er
antwortete nur: «Was ist da viel zu erzählen!»
    «Dann setzen Sie sich wenigstens!» Er
tat es. «Sie haben also Miss Paget bald nach dem japanischen Kriegseintritt
kennengelernt, nicht wahr?»
     
     

     
    «Richtig.»
    «In Malaya, als Kriegsgefangener?»
    «Richtig.»
    «Und haben sie seitdem nie wieder
gesehen und ihr in den folgenden Jahren niemals geschrieben?»
    «Richtig.»
    «Ja, dann verstehe ich nicht, warum Sie
sie jetzt mit aller Gewalt sehen wollen. Nach sechs Jahren! Woher dieses
plötzliche Verlangen, mit ihr in Verbindung zu treten?» Ich hatte das
unbestimmte Gefühl, als habe er auf eine mir unerklärliche Weise etwas von
ihrer Erbschaft läuten hören.
    Er lächelte vor sich hin, sah mich dann
an und heraus kam: «Ich hab gedacht, sie ist verheiratet.»
    «Hmmm... Wann haben Sie denn erfahren,
daß sie noch ledig ist?»
    «Vergangenen Mai», antwortete der Ringer.
«Bei uns in Julia Creek. Da habe ich zufällig den Piloten kennengelernt, der
sie mit seiner ‹Dakota› von Kota Bahru nach Singapore geflogen hat.»
    Er hatte mit Jim Lennon und zwei
schwarzen Cowboys seine vierzehnhundert Stück Vieh die etwa dreihundert Meilen
von der Midhurst-Station nach Julia Creek den Normanfluß, den Saxby und
Flinders entlang getrieben. Ende März waren sie von Midhurst losgeritten. Als
sie in Julia Creek auf ihrem Güterbahnhof, dem letzten der Strecke, anlangten,
war es Mai. Der 3. Mai. Ihr Vieh hatte am Tag durchschnittlich zehn Meilen
zurückgelegt, wurde in die Eisenbahnpferche verbracht und von dort in Güterzüge
geladen, was etwa drei Tage beanspruchte.
    Jim Lennon und Joe logierten im «Hotel
Post Office» in Julia Creek. Sie hatten bei der gewaltigen Hitze täglich
vierzehn Stunden lang Vieh in die Waggons zu laden. Wenn sie nicht arbeiteten
oder schliefen, standen sie in der Hotelbar und tranken in langen Zügen das
australische kalte Dünnbier, dessen Genuß bei schwerer körperlicher Arbeit

Weitere Kostenlose Bücher