Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Sünde zuviel

Eine Sünde zuviel

Titel: Eine Sünde zuviel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
Und vielleicht verstehen Sie mich jetzt auch, Doktor.«
    »Sie haben irgendein Mißtrauen?«
    »Ich weiß es nicht. Ich habe ein so merkwürdiges Gefühl, das ist alles. Ich habe fast Angst vor der Rückkehr. Warum, das kann ich nicht sagen. Und nun dieser Brief –«
    »Sie hätten ihn vielleicht doch nicht lesen sollen.«
    Luise sah Dr. Saviano entschlossen an. Sie hat schöne braune Augen, dachte der Arzt. Vor drei Wochen waren sie noch blind, wie eine schmutzige Milchglasscheibe. Und jetzt können sie wieder strahlen, und in ihrer Tiefe sieht man das Leben mit all seinen Schattierungen.
    »Bitte, lassen Sie mich die Blinde weiterspielen, Doktor –«, sagte Luise Dahlmann eindringlich. »Ich werde mich von meiner Pflegerin abholen lassen und nach Hause fahren. Ich möchte als Blinde sehen, was ich als Sehende nie bemerken würde –«
    »Wenn der Chef das jemals erfährt!« rief Dr. Saviano.
    »Er wird es nie erfahren. Bitte, spielen Sie mit, Doktor. Vielleicht hängt von Ihrem Ja so viel ab, was wir heute noch gar nicht übersehen können. Oder es ist nur eine Überraschung von wenigen Minuten … das wäre noch schöner. Ich bitte Sie, Doktor –«
    Dr. Saviano ging unruhig hin und her. Im Grunde genommen ist das ihre Privatangelegenheit, dachte er. Wir haben ihr das Augenlicht wiedergegeben – ob sie nun die Blinde weiterspielt, kann uns nicht interessieren, solange sie es nicht benutzt, um Versicherungen und Krankenkassen damit zu täuschen und zu betrügen. Und das ist hier nicht der Fall. Der beste Weg ist, so zu tun, als wisse man von nichts.
    »Gut. Nehmen wir an, ich sehe nichts, signora. Sie werden abgeholt von Ihrer Pflegerin und sagen, Sie seien weiterhin blind. Da ist aber noch Schwester Angelina –«
    »Sie wird mich nicht verraten.«
    »Ach. Mit der haben Sie auch schon gesprochen?«
    »Ja.« Luise senkte den Kopf. »Sie fand diese geplante Überraschung ganz lustig.«
    »Lustig! Typisch! Man wird sich nie in der weiblichen Psyche zurechtfinden! Tun Sie also, was Sie Ihrer Meinung nach tun müssen! Ich weiß von nichts –«
    »Danke, Doktor.«
    Dr. Saviano winkte ab. »Und nun ins dunkle Zimmer, marsch! Schwester Angelina soll sofort eine Kortisonspülung machen! Sie wissen, wenn die Sehnerven angeknackst werden, kann Ihnen niemand mehr helfen, auch kein Battista Siri …«
    *
    Drei Tage später kam Fräulein Pleschke nach Bologna.
    Zum erstenmal sah Luise Dahlmann ihre Pflegerin. Sie war ein nettes, etwas pummeliges Mädchen mit großen Kinderaugen, die immer wie erstaunt in die Welt blickten. Die Sonnentage am Genfer See hatten ihr gutgetan. Sie war braungebrannt, sah satt und zufrieden aus und freute sich offensichtlich, daß es wieder nach Hause, nach Hannover ging, wo der Lehrerstudent auf sie wartete.
    Luise saß reisefertig auf einem Stuhl am Fenster, als Fräulein Pleschke eintrat. Im Flur schon hatte Schwester Angelina ihr gesagt, daß die Operation nicht gelungen sei und Frau Dahlmann weiterhin blind sei. Mit ehrlichem Mitleid drückte Fräulein Pleschke die Hände Luises.
    »Es ist so schade«, sagte sie stockend und sah Luise an. Ihre Lippen zuckten, sie unterdrückte das Weinen tapfer und bemühte sich, eine feste Stimme zu behalten. Luise hatte einen Augenblick den Drang, sie an sich zu ziehen und zu trösten … sie preßte die Lippen aufeinander und sah starr geradeaus, wie sie es immer in ihrer Blindheit getan hatte. Verwundert beobachtete Fräulein Pleschke die veränderten Augen. Alles Trübe ist weg, dachte sie. Sie haben Glanz und Farbe. Und trotzdem sieht sie nichts. Aber wenn man sie anblickt, könnte man glauben, es seien gesunde Augen. Wenigstens da hat die Operation etwas genutzt … man bemerkt die Blindheit nicht mehr.
    Dr. Saviano war in Bologna. Er hatte es so eingerichtet, daß er wirklich von dem Beginn des Spiels nichts sah. Er saß in einer Caféteria unter einem Sonnenschirm und trank einen Campari. Es war gewissermaßen eine Flucht vor dem Mitwissen.
    So war die Abreise Luise Dahlmanns aus der Clínica St. Anna ein stilles, unbemerktes Weggehen. Nur Schwester Angelina begleitete sie bis zur Taxe, die sie zum Bahnhof Bologna bringen sollte.
    »Alles, alles Gute, signora …«, sagte die kleine Schwester und drückte Luise die Hand. Tränen standen ihr in den runden, schwarzen Augen.
    »Ich danke Ihnen für alles, Schwester.« Luise umarmte sie, aber diese Umarmung war weniger eine Geste des Abschiedes als vielmehr eine Aufwallung von Angst vor dem Kommenden.

Weitere Kostenlose Bücher