Eine tödliche Erinnerung (German Edition)
verächtlich. "Sie hat mit ihren Klavierstunden, die sie gegeben hat, auch fast nichts verdient. Aber verbraucht haben sie Unsummen. Die Schwiegereltern haben das Forsthaus für sie gekauft und völlig umgebaut. Auf dem Hof war für drei Familien auf die Dauer zu wenig Platz, und die Schwiegermutter meinte, Adrian brauche eine bessere Umgebung für sein Schaffen. Der Schwiegervater hat nicht widersprochen und am Ausbau des Hauses sogar kräftig mitgeplant. Einen Palast haben sie denen hingestellt, der ganze Giebel wurde komplett verglast, das gab erst viel Hin und Her mit dem Denkmalsschutz. Als alles fertig war, hat sich die Schwiegermutter meistens dort aufgehalten. Ich war froh darüber, denn mich konnte sie nie leiden. Das beruhte allerdings auf Gegenseitigkeit."
Frau Brückner schüttelte resigniert den Kopf. "Diese Frau war ja so ungerecht. Das hat sie sogar auf die Kinder ausgedehnt. Meine Mädchen hat sie kaum angeguckt. Aber mit den Beiden von ihrem Adrian, mit der Melissa und dem Matthias, hat sie sich fast umgebracht. Die durften alles und bekamen alles. Wenn es mal Streit gab, dann waren angeblich immer meine Mädchen daran Schuld. Melissa hat das mächtig ausgenutzt, sie war ein richtiges kleines Biest. Sie hat allen möglichen Unsinn ausgeheckt, um dann anderen die Schuld zuzuschieben. Fast immer ist sie damit durchgekommen. Nur deshalb ist es wohl auch zu dem Unglück gekommen."
"Würden Sie mir von dem Unglück erzählen?", fragte ich behutsam.
Sie nickte. "Es ist an dem Tag passiert, als Adrian beerdigt wurde. Er war ganz plötzlich verstorben, an einem vereiterten Blinddarm. Seine Mutter und seine Frau sind völlig zusammengebrochen. Mir hat es auch leid getan, er war zwar ein Nichtsnutz gewesen, aber immer höflich und freundlich. Doch ich durfte keine Schwäche zeigen, denn an mir hing wieder mal die ganze Arbeit. Unten im Haus wollte eine große Beerdigungsgesellschaft bewirtet werden und oben lagen meine Schwiegermutter und meine Schwägerin in getrennten Zimmern auf ihren Betten und gaben sich ihrer Trauer hin. Ich wusste nicht, wo mir der Kopf stand. Auf die Kinder konnte ich unmöglich auch noch die ganze Zeit über achten. Das hat sich Melissa zunutze gemacht und ist mit ihrem Bruder auf den Turm geklettert. Er war ja erst vier, aber sie mit ihren acht Jahren wusste genau, dass ihnen das verboten war. Als ich ihr Fehlen bemerkte, bin ich sie gleich suchen gegangen, aber ich kam zu spät. Ich habe gerade noch gesehen, wie sie ihn runter gestoßen hat."
"Könnte er nicht einfach von allein gefallen sein?"
Frau Brückner schüttelte energisch den Kopf. "Dann wäre er direkt an der Wand hinabgestürzt. Aber so, wie er gefallen ist, war das nur durch einen mit ziemlicher Wucht ausgeführten Stoß möglich. Das hat auch die Polizei gesagt, die kam wegen des unnatürlichen Todesfalles und hat das untersucht. Außerdem habe ich ja gesehen, was Melissa getan hat. Da gibt es keinen Zweifel."
"Der Turm sieht nicht besonders hoch aus", sagte ich.
"Nur von dieser Seite nicht. Auf der anderen fällt das Gelände steil ab, da war mal ein Graben. Auf der Seite war auch die Brüstung komplett eingefallen, das war wirklich gefährlich. Da konnte man leicht abstürzen."
"Und was passierte danach?"
"Unser Hausarzt hat der Vanessa, also der Mutter von Melissa, etwas zur Beruhigung gespritzt. Aber er wusste nicht, dass sie die ganze Tasche voller Medikamente hatte, Schlafmittel, Antidepressiva, alles mögliche. Sie war ja ständig leidend. Daraus hat sie dann für sich und Melissa einen Cocktail gemixt. Niemand hat etwas bemerkt, alle waren froh, dass die Beiden offenbar ruhig schliefen. Am nächsten Morgen war Vanessa tot. Melissa lebte noch, aber wir konnten sie nicht aufwecken. Sie wurde ins Krankenhaus gebracht und erholte sich wieder. Nur hier konnte sie natürlich nicht bleiben."
"Warum nicht?", bemühte ich mich so ruhig und neutral wie möglich zu fragen.
"Wie hätte das gehen sollen?", ereiferte sich Frau Brückner. "Meine Schwiegermutter konnte kaum für sich selber sorgen und ich hatte die Verantwortung für die Firma und für drei eigene Kinder."
Jetzt hatte sie im Eifer etwas ausgesprochen, wonach ich sonst unmöglich hätte fragen können. "Drei Kinder? Ich erinnere mich, dass sie in unserem ersten Gespräch nur die Zwillinge erwähnten."
Frau Brückner musterte mich mit einem erstaunten Blick. Sie hatte wohl nicht erwartet, dass ich mir ihre Worte so gut gemerkt hatte. "Ich habe noch
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