Eine tödliche Erinnerung (German Edition)
zu erkennen waren. Zusammen mit der Turmruine bildete sie die hintere Begrenzung des Grundstücks.
Der Hof über den wir gingen, wies seitlich eine Vielzahl von Schuppen und Garagen auf. Mir fiel ein, dass die Familie früher mit Kohlen gehandelt hatte. Sicher hatte man die dann hier auf dem Hof gelagert. Was Melissa als rußartiger Schmutz in Erinnerung geblieben war, musste Kohlenstaub gewesen sein! Wieder staunte ich über die Präzision ihrer Erinnerungen. Alles war vorhanden: Der Turm, der Hof und nun führte mich Frau Brückner in das dunkle Haus. Es war ein altes Gebäude, wenn auch größer und nicht so windschief wie das Heimatmuseum. Doch die Fenster waren ähnlich klein und ließen wenig Licht herein. Sie bat mich nur in die spärlich möblierte Diele. Wir nahmen an einem hässlichen Campingtisch Platz, die zugehörigen Hocker waren unbequem und ziemlich wacklig. Ich schaute mich unauffällig um. Unmengen von schmutzigen Schuhen standen herum, ansonsten gab es lediglich einen Garderobenständer, der unter der Last von Jacken zusammenzubrechen drohte und einen rostigen Schirmständer ohne Schirme.
Die Umgebung wirkte bedrückend auf mich, Frau Brückner schien sie nicht zu stören. Sie sah mich an und begann ohne Umschweife zu reden. "Sie sind wegen Melissa hier." Es war keine Frage, sondern eine Feststellung. Ich behielt einen Gesichtsausdruck bei, der mir auf jedem Pokerturnier Ehre gemacht hätte und äußerte mich nicht. Frau Brückner schien das auch nicht zu erwarten, sondern schloss gleich die nächste Feststellung an. "Melissa ist meine Nichte. Ihr Vater, Adrian Morgenroth, war der jüngere Bruder meines Mannes."
Da ich mich immer noch nicht äußerte, redete sie einfach weiter. "Ich habe geahnt, dass sie eines Tages hier auftauchen würde. Obwohl es besser wäre, die Geister der Vergangenheit in Ruhe zu lassen, vor allem für Melissa. Aber sie muss sich ja nicht einmal selbst bemühen, sie hat es wieder mal verstanden, andere für sich einzuspannen, wie zum Beispiel Sie und diesen aufdringlichen Detektiv."
Mit Letzterem schien sie Tobias zu meinen, doch ich klärte sie nicht über ihren Irrtum auf. "Würden Sie mir von Ihrer Familie erzählen?", fragte ich sie stattdessen, und sie nickte zustimmend.
"Eine ganze Menge habe ich Ihnen ja schon bei unserem ersten Gespräch erzählt", sagte sie. "Die Firma hier gehörte früher meinem Schwiegervater. Er war ein sehr tüchtiger Mann, hat sein Leben lang für den Betrieb geschuftet. Seine Frau hat ihn dafür nur verachtet; und seine Arbeit hat sie regelrecht gehasst. Sie hat nur in höheren Regionen geschwebt und sich am liebsten mit Künstlern umgeben."
"Warum hat sie ihren Mann dann überhaupt geheiratet?" Die Frage erschien mir angebracht.
"Als sie ihn kennenlernte, hat er noch Architektur studiert. Das war ganz nach ihrem Geschmack. Den Betrieb der Eltern, der damals noch eine reine Kohlenhandlung war, sollte der ältere Bruder meines Schwiegervaters weiterführen, so war es beschlossen. Doch nach einem schweren Unfall war der dazu nicht mehr in der Lage. Da hat mein Schwiegervater sein Studium abgebrochen und den Betrieb übernommen. Er wollte seine Eltern nicht im Stich lassen. Doch seine Frau hat ihm diesen Schritt nie verziehen. Sie hat sich von ihm zurückgezogen und ihr eigenes, völlig abgehobenes Leben geführt. Sogar einen Salon hat sie eröffnet, das müssen Sie sich mal vorstellen, hier in Gröbeneck! Da kamen alle möglichen Künstler hin, die sich vermutlich nur mal richtig satt essen wollten. Von ihrer Kunst konnten die doch alle nicht leben!"
"Und ihr Schwager Adrian Morgenroth, konnte der auch nicht von seiner Kunst leben?", lenkte ich das Gespräch in die gewünschte Richtung.
"Nein, natürlich nicht. Aber das hatte er ja auch nicht nötig, seine Mutter hat ihn vergöttert und dafür gesorgt, dass es ihm an nichts fehlte. Mit seiner Frau, mit dieser Klavierspielerin, war es dann genau dass Gleiche. Meine Schwiegermutter hat jedes Mal echte Tränen der Rührung vergossen, wenn die zu klimpern anfing. Sie musste regelmäßig bei ihren Künstlertreffen spielen. Das waren auch die einzigen Auftritte, die sie noch hatte. Aber sie hat sich so viel auf ihren Namen eingebildet, den sie sich als Zehnjährige mit ein paar Konzerten gemacht hatte, dass sie ihn bei der Heirat nicht ablegen wollte. Da hat der Adrian ihn auch angenommen, weil er einen einheitlichen Familiennamen wollte, schon wegen der Kinder." Frau Brückner schnaubte
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