Eine tödliche Erinnerung (German Edition)
Festtagsstimmung erhielt dadurch einen kleinen Dämpfer.
8.
Als ich die Geschenke für meine Familie auspackte, fiel mir der Brief wieder in die Hände. Ich legte ihn beiseite und verlebte Heilig Abend in angenehm entspannter Stimmung. Von meinen Eltern bekam ich Geld geschenkt und meine Mutter meinte, ich solle mir dafür vor allem etwas Ansprechendes zum Anziehen kaufen. Mir erschien die zügige Tilgung meines Ausbildungskredites, der wie ein Mühlstein an meinem Halse hing, jedoch entschieden wichtiger. Allerdings behielt ich diese Überlegung für mich, ich wollte meine Eltern nicht damit belasten. Sie mussten schließlich auch noch meinen studierenden Bruder unterstützen und machten sich auch so schon genug Gedanken wegen meiner finanziellen Situation. Die Tatsache, dass ich eine Arbeitsstelle gefunden hatte, schien sie etwas zu beruhigen. Ich hoffte es würde meine Mutter schließlich sogar darüber hinwegtrösten, dass sich meine Aussichten auf eine Heirat mit einem gut verdienenden Anwalt zerschlagen hatten. Sie schaffte es sogar, das Thema kein einziges Mal zu erwähnen und es wurde ein harmonischer Abend.
Am nächsten Morgen hatte ich länger als sonst geschlafen und mich ausgiebig meiner Morgentoilette gewidmet. Gerade schickte ich mich an nach unten zu gehen, als mein Blick wieder auf den Brief fiel. Jetzt entschloss ich mich, ihn endlich zu öffnen. Zu meiner Überraschung enthielt er nur Zeitungsausschnitte.
Der erste bestand lediglich aus einer kurzen Mitteilung:
Mysteriöser Mord im renommierten Internat Schloss Dahrenried. Beim Sportfest brach eine 18-jährige Schülerin tot zusammen. Es stellte sich heraus, dass ihrer Getränkeflasche ein stark wirkendes Gift beigemischt worden war. Wegen der laufenden Ermittlungen in dem Fall wurden keine näheren Auskünfte erteilt .
Noch während ich das las, wurde mir klar, dass ich von dem Fall gehört hatte. Deshalb hatte ich auch gestutzt, als mir Melissa den Namen ihres Internats genannt hatte. Doch der Grund war mir längst entfallen und die Meldung in der Flut neuer Nachrichten untergegangen.
Der zweite Artikel war umfangreicher und mit riesigen Lettern reißerisch aufgemacht: Ist sie eine heimtückische Mörderin? , lautete die Schlagzeile. Darunter sah ich das verschwommene Bild einer Frau, deren obere Gesichtshälfte zusätzlich durch einen dicken schwarzen Balken verdeckt wurde. Trotzdem erkannte ich Melissa sofort. Dieses üppige leuchtende Haar gab es nur einmal. Der Artikel bestätigte meine Vermutung. Mit angehaltenem Atem las ich:
Sie waren die engsten Freundinnen, teilten jahrelang alles miteinander. Doch dann reichte Melissa M. beim Sportfest der Freundin ihre Getränkeflasche und damit ein tödliches Gift. Was wie ein Kreislaufkollaps nach Überanstrengung aussah, entpuppte sich als heimtückischer Mord. War Eifersucht im Spiel gewesen? Die Ermittlungen dauern an.
Die Ermittlungen dauern an ... Dieser Satz beschäftigte mich. Was hatten die Ermittlungen wohl ergeben? Offenbar keinen hinreichenden Tatverdacht gegen Melissa. Sonst wäre sie jetzt kaum auf freiem Fuß und meine Patientin. Ich hatte auch nie wieder etwas über den Fall gehört oder gelesen. Mein größtes Problem bestand jedoch darin, wie ich jetzt mit Melissa weiterarbeiten sollte. Während ich ergebnislos darüber grübelte, hörte ich meine Mutter nach mir rufen. Ich begab mich nach unten und fing ihren erschrockenen Blick auf.
"Geht es dir nicht gut? Hast du schlecht geschlafen? Du bist ja ganz blass!" Ich murmelte etwas von zu viel Marzipan und einem verdorbenen Magen. Damit konnte ich dann auch gleich meinen mangelnden Appetit beim Mittagessen rechtfertigen. In den kommenden Stunden ertappte mich meine Familie immer wieder dabei, dass ich mit meinen Gedanken abwesend war. "Du arbeitest zu viel!", empörte sich meine Mutter. "Wenn Du wenigstens ein geregeltes Privatleben hättest. Als ich in deinem Alter war ..."
"Ich glaube, ich sollte mich etwas hinlegen", unterband ich dieses Thema erfolgreich. Meine Familie nickte geschlossen und zutiefst mitfühlend. Ihre Fürsorge tat mir gut, auch wenn sie mir in der Sache nicht helfen konnten.
Am zweiten Weihnachtstag hielt ich es dann nicht mehr aus und rief Ruth an. Sie hielt sich nicht lange damit auf, sich meine Entschuldigungen für die unpassende Störung ihrer Festtagsruhe anzuhören.
"Was ist passiert?", fragte sie sofort zur Sache kommend.
Ich gab ihr kurz den Inhalt der Zeitungsausschnitte wieder. Einen
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