Eine tödliche Erinnerung (German Edition)
total fasziniert.
Niemand verstand meine Gedanken und Gefühle besser als Ruth. "Da eröffnet sich dir tatsächlich eine hochinteressante Möglichkeit", meinte sie. "Du hast eine Patientin hypnotisiert und dabei bereits eine Fülle von Erinnerungen aufgedeckt. Jetzt kannst du gewissermaßen vor Ort überprüfen, inwieweit sich das in Trance Erlebte mit der Realität deckt. Willst du den Fall in deine Dissertation aufnehmen?"
Ich hatte schon mit dem Gedanken gespielt, doch das stand noch nicht zur Debatte. Zuvor musste Melissas Therapie völlig abgeschlossen sein, bevor ich sie darum bitten konnte, ihren Fall in anonymisierter Form erwähnen zu dürfen.
Erst einmal stimmte ich zu, Melissa zu begleiten. Auf das Ergebnis der Reise war ich nicht weniger gespannt als sie selbst.
24.
Wir hatten die Fahrt nach Gröbeneck für den kommenden Samstag geplant und Melissa hatte darauf bestanden, für Organisation und Unkosten allein zuständig zu sein. "Wir fahren mit dem Auto", hatte sie festgelegt. "Mit der Bahn wäre es zu umständlich. Da verlieren wir nur unnötig Zeit." Ich wunderte mich darüber, weil ich wusste, dass Melissa ebenso wie ich über kein eigenes Auto verfügte. Bei mir hatte das finanzielle Gründe. Melissa, für die solche Beschränkungen nicht existierten, besaß jedoch keinen Führerschein.
"Kommt noch jemand mit?", fragte ich deshalb.
Melissa schüttelte den Kopf. "Nein, nur wir Zwei. Jemand anderen möchte ich gar nicht dabei haben. Ich werde uns nur eine Fahrgelegenheit besorgen. Auf der Rückfahrt können wir einen Umweg machen und dich in Wernigerode absetzen, falls du noch bei deinen Eltern vorbeischauen möchtest."
Wir hatten vereinbart, gleich früh um 7.00 Uhr abzufahren, so dass wir gegen 9.30 Uhr dort sein und den Tag gut nutzen könnten. Melissa wollte mich abholen. Ich vermutete, dass sie sich von Professor Tietze-Mühlberger oder von einem Kommilitonen fahren lassen würde. Deshalb war ich ziemlich verblüfft, sie zur vereinbarten Zeit vor meiner Haustür aus einem Taxi steigen zu sehen. Zwar war mir bekannt, dass Melissa durch die Abfindung ihrer Adoptiveltern über reichliche finanzielle Mittel verfügte, doch was Kleidung und Lebensstil betraf, war sie bisher immer sehr bescheiden aufgetreten. Jetzt winkte sie nur ab, als sie meinen verwunderten Blick bemerkte. "Es ist bequem so, was soll´s? Der Anlass ist anstrengend genug."
Der Taxifahrer war ein rundlicher freundlicher Mann um die Fünfzig und stellte sich uns als Herr Hartwich vor. Von Anfang an zeigte er sich bemüht, die Damen nicht nur erstklassig zu chauffieren, sondern auch angenehm zu unterhalten. Bald wussten wir alles über seine Familie, die Berufe der beiden Töchter und die Entwicklungsfortschritte des ersten Enkelkindes, auf das er sehr stolz war. Herr Hartwich stammte ursprünglich aus Goslar und zeigte sich erfreut, als ich ihm auf seine Nachfrage mitteilte, in Wernigerode geboren zu sein. "Habe ich doch gleich gehört, dass Sie auch keine Berlinerin sind", meinte er.
Melissa war während der ganzen Zeit sehr schweigsam geblieben und ich bemühte mich, das Gespräch in andere Bahnen, weg von Familienverhältnissen, zu lenken. Ob ihm die heimatliche Landschaft nicht manchmal fehlen würde, fragte ich deshalb. Herr Hartwich bestätigte das lebhaft und kam dann auf sein spezielles Hobby zu sprechen. Er sammelte Sagen aus dem Harz und beschäftigte sich mit ihrem Ursprung. Ob ich denn Sagen aus Wernigerode kennen würde, wollte er wissen. Damit konnte ich zum Glück dienen. Ich erzählte wie der Burggeist die alte Wernigeröder Burg in einer einzigen Sturmnacht vom Kapitelsberg an den Standort versetzte, wo noch heute das Schloss steht. Damit entsprach er dem Wunsche einer frommen Burgfrau, die so verhinderte, dass ihr Gatte, der ein wüster Raubritter war, den aufwendigen Umzug durch neue Raubzüge finanzierte. Anschließend gab ich auch noch die Sage vom Weinkellerloch zum Besten, das in einer Talsenke nahe der Stadt liegen soll: Wem es sich zufällig öffnet, der soll darin reiche Schätze finden, von denen er sich nehmen darf, soviel er tragen kann. Dann muss er einen persönlichen Gegenstand zurücklassen, damit er jederzeit an den Ort zurückkehren kann. Vergisst er das aber, so bleibt ihm der Zugang ewig verschlossen.
Ich vermutete, dass Herr Hartwich die Sagen bereits kannte. Doch er äußerte sich voller Anerkennung und revanchierte sich mit der Sage vom Rammelsberg bei Goslar. Ein Jäger namens Ramm
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