Eine tödliche Erinnerung (German Edition)
fiel mir schwer, vielleicht hatte Marko ja Recht gehabt, als er mir ein Helfersyndrom unterstellte.
28.
Verfolgt zu werden, ist ein verdammt unangenehmes Gefühl. Seit einigen Tagen konnte ich das am eigenen Leibe erfahren. Jemand beobachtete mich, schlich mir heimlich nach, streifte abends ums Haus. Zum ersten Mal hatte ich es beim Einkaufen bemerkt, dass mich plötzlich jemand durch die Regale hindurch intensiv anstarrte. Als ich aufblickte und dem bohrenden Blick zu begegnen versuchte, konnte ich nur noch einen davon huschenden Schatten ausmachen. Ich dachte mir nichts weiter dabei. Wenige Tage später hatte ich das Gefühl, mir würde auf dem Heimweg jemand folgen. Beim Umdrehen sah ich eine Gestalt eilig in einem Hauseingang verschwinden.
"Du redest dir das ein, weil du dich in den vergangenen Wochen so intensiv mit Stalking befassen musstest", versuchte ich mich zu beruhigen. Doch die merkwürdigen Vorfälle hörten nicht auf. Als ich dann bemerkte, wie sich jemand vor mir hinter einem Baum versteckte, konnte ich keine Zweifel mehr haben, dass ich unter Beobachtung stand. Allerdings war ich nun eher amüsiert. Bei der Person, die da in letzter Minute vor meinen Blicken in Deckung gegangen war, handelte es sich allem Anschein nach um eine Frau. Ich vermutete daher, dass mich eine meiner Patientinnen heimlich verfolgte. Während der Therapie gebe ich nichts von meinem Privatleben preis. Ein guter Therapeut soll eine Projektionsfläche für die Probleme seiner Patienten sein, seine eigenen Lebensumstände haben in diesem Kontext keine Rolle zu spielen. Die meisten Patienten akzeptieren das. Doch in Ausnahmefällen kann sich eine krankhafte Neugier auf das Privatleben des Therapeuten entwickeln.
Ich hatte eine Patientin im Verdacht, die sich erst seit kurzem in meiner Behandlung befand, eine Studentin, die unter Bulimie litt. Sie hatte sich mir gegenüber bisher sehr misstrauisch gezeigt. Doch diese Vermutung geriet ins Wanken, als Brutus mehrmals mitten in der Nacht anschlug und Frau Lehmann mir tief beunruhigt mitteilte, dass jemand ums Haus schleichen würde. So eine Aktion traute ich dieser Patientin dann doch nicht zu. Eine Idee, wer mir sonst nachstellen könnte, hatte ich allerdings auch nicht. Vielleicht standen die einzelnen Vorfälle ja auch nicht unmittelbar im Zusammenhang. Ich verdrängte mein Unbehagen und wandte meine ganze Aufmerksamkeit meiner Arbeit zu.
Wieder war es als wäre in Melissas Kopf ein Schalter umgelegt worden. Die lichten Erinnerungen verschwanden, dunkle Bilder bedrängten sie. In tiefe Trance versunken, lag sie auf meiner Couch und sprach mit schleppender Stimme über ihre Eindrücke. "Es ist dunkel im Zimmer und es sind so viele Menschen hier. Sie sind alle ganz schwarz gekleidet. Sie machen mir Angst." Ich forderte Melissa auf, den Raum zu verlassen. Doch auf dem Hof mit den rußgeschwärzten Wänden steigerte sich ihre Angst noch. Sie begann nach ihrem Bruder zu suchen, der plötzlich verschwunden war. Schließlich musste ich sie aus der Trance zurückholen und erst einmal beruhigen.
"Es ist wieder geschehen", murmelte sie noch halb benommen.
Eine Ahnung stieg in mir auf: "Ist etwas passiert, Melissa? Gab es ein besonderes Erlebnis in den letzten Tagen?"
Sie nickte. "Ich habe sie wiedergesehen, diese seltsame Frau mit der komischen Mütze, die mich an einen Staubsaugerbeutel erinnerte. Sie hatte sie diesmal nicht auf, aber ich habe sie trotzdem erkannt. Sie stand auf der Straße vor meinem Haus und ist schnell weggelaufen, als sie mich sah. Es wirkte als hätte sie Angst, aber das war nichts gegen meine Panik. Sie erinnert mich an etwas, doch ich weiß nicht woran."
Als ich an diesem Tag die Praxis verließ, merkte ich sofort, dass mir jemand folgte. Spontan entwickelte ich einen Plan. In einer Seitenstraße befand sich gleich an der Ecke ein kleines Schreibwarengeschäft. Zügig bog ich in diese Straße ein und betrat den Laden, wo ich am Zeitschriftenregal Posten bezog. Von hier aus konnte ich gut beobachten, was draußen vor sich ging. Da kam sie auch schon, eine noch junge Frau schwer bestimmbaren Alters, mit störrischem, ungepflegtem Haar und einer Brille. Sie war wieder merkwürdig gekleidet. Diesmal trug sie eine gestreifte lockere Hose, die stark an eine Schlafanzughose erinnerte und eine altmodische Rüschenbluse mit Puffärmeln. Verdutzt schaute sie die Straße hinunter, auf der sie mich nicht mehr entdecken konnte. Doch auch ich war verblüfft: Zwar erkannte
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