Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine tödliche Erinnerung (German Edition)

Eine tödliche Erinnerung (German Edition)

Titel: Eine tödliche Erinnerung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fiona Limar
Vom Netzwerk:
Passanten festgehalten und der Polizei übergeben."
    Wo war das passiert? Kein Zweifel, der Name unseres Stadtteils war gefallen. Ich spürte wie meine Knie weich wurden. In diesem Moment hatte ich nicht den geringsten Zweifel, dass es sich bei der Täterin um Frau Stammer handeln musste.
    In meinem Kopf begannen zwei Stimmen zu streiten: "Dich trifft keine Schuld", sagte die eine. "Frau Stammer war nicht mehr deine Patientin und du hast Wolfgang Gerlach auf die Polizei verwiesen. Das war richtig so, mehr konntest du nicht tun."
    "Ach, wirklich nicht?", höhnte die andere. "Machst du jetzt auch nur noch Dienst nach Vorschrift? Hättest du es nicht doch noch einmal mit einem gemeinsamen Gespräch versuchen sollen? Wenn es auch bei Frau Stammer nichts bewirkt hätte, vielleicht wäre Herr Gerlach dadurch zu der Einsicht gelangt, doch die Polizei einzuschalten. Dann wäre dem Kind nichts passiert."
    Wie schwer war das Kind wohl verletzt worden? In meinem Kopf stiegen Horrorszenarien auf, von einem dauerhaft geschädigten Kind, verzweifelten Eltern und einer gnadenlosen Presse, die sich auf die verantwortungslose Therapeutin stürzen würde. Wen würde es in diesem Zusammenhang schon interessieren, dass mein Verhalten völlig korrekt gewesen war? Eigentlich nicht einmal mich selbst. Angesichts eines verletzten Kindes erschien mir das unwichtig.
    Aber wenn es nun gar nicht Frau Stammer gewesen war? Eine winzige Hoffnung keimte in mir auf, doch ich brauchte Gewissheit. Wie konnte ich die erlangen? Gernot Schlüter fiel mir ein, der Kriminalhauptkommissar, mit dem Ruth befreundet war und den ich inzwischen auch persönlich kennengelernt hatte. Bei einem gemeinsamen Abendessen in ihrer Wohnung hatte Ruth sogar vermittelt, dass wir uns nun duzten. Trotzdem hatte ich Hemmungen, ihn mit dieser Angelegenheit zu behelligen. Vielleicht war er ja auch gar nicht erreichbar ...
    Nach einer Weile hielt ich die Grübelei nicht mehr aus und rief doch an. Gernot Schlüter war sofort am Apparat. Ich sah ihn förmlich vor mir, mit seiner randlosen Brille, seinem gepflegten grauen Haar und der Ausstrahlung eines erfahrenen Hausarztes, dem seine Patienten vertrauen. "Was kann ich für dich tun, Iris", fragte er als gäbe es nichts Wichtigeres für ihn. Ich schilderte ihm das Problem. "Ich muss vor allem wissen, ob es sich bei der Frau wirklich um meine Patientin handelt", sagte ich.
    "Ich werde es sicher für dich herausfinden können", versprach mir Gernot, "und dann rufe ich dich zurück."
    Tatsächlich klingelte schon 20 Minuten später das Telefon. "Leider kein voller Erfolg", meldete sich Gernot. "Die Frau sitzt auf der Wache und weigert sich hartnäckig, ihre Personalien anzugeben. Die Kollegen wissen also nicht, wer sie ist, waren aber ganz interessiert zu hören, dass du sie eventuell identifizieren könntest. Wenn du einverstanden bist, schicken sie gleich einen Streifenwagen vorbei und holen dich ab."
    Und ob ich einverstanden war! Schon bald darauf hielt der Wagen vor der Praxis. Auf dem Weg zur Wache erfuhr ich in groben Zügen, was sich überhaupt zugetragen hatte. Eine Frau hatte eine brennende Zigarette in einen Kinderwagen geworfen, dem Säugling mitten ins Gesicht. An dieser Stelle stutzte ich, mir war nicht bekannt, ob Frau Stammer überhaupt rauchte. Denkbar war es natürlich.
    Ein älterer Beamter führte mich gleich in einen Vernehmungsraum, in dem eine zusammengesunkene Gestalt auf einem Stuhl kauerte. "Hier kommt jemand, mit dem du vielleicht lieber reden möchtest", sagte er aufmunternd. Sie hob ein wenig den Kopf und zischte mir ein "Verpiss dich!" entgegen. Vor Erleichterung hätte ich beinahe laut aufgelacht. Das war nicht Frau Stammer! Auf dem Stuhl kauerte eine blutjunge, klapperdürre Frau mit fettigem, schwarzen Haar. Ich teilte dem Beamten mit, diese Person leider nicht zu kennen, was ihn sichtlich enttäuschte.
    "Schade", seufzte er, "jetzt kommen wir mit der verstockten Göre wieder nicht weiter. Wissen Sie überhaupt, was die sich geleistet hat? Es war während des kurzen Gewitters heute Morgen. Eine ganze Menge Leute hatten vor dem Regen Zuflucht in einem Buswartehäuschen gesucht. Sie stand direkt neben einem Kinderwagen und blies ihren Zigarettenrauch genau zu dem Kind rein. Die Mutter bat sie sehr höflich, das zu unterlassen, doch sie reagierte überhaupt nicht. Als sich die Umstehenden einmischten und sie ebenfalls empört zurechtwiesen, pfefferte sie die brennende Kippe dem Kind mitten ins Gesicht.

Weitere Kostenlose Bücher