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Eine Trillion Euro

Titel: Eine Trillion Euro Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eschbach Andreas
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aufgestanden war.
    Der Mond zeichnete eine imaginäre Straße auf das ruhige Wasser des Meeres, und sein Licht ließ den Sand phosphoreszieren. Keine Menschenseele war hier, mit Ausnahme der beiden Leibwächter, die er nur als flüchtige Bewegung an der äußeren Grenze seines Sehvermögens wahrnahm, während sie ihm still folgten, ohne einzugreifen. In einer der nächsten Nächte würde er ein Handtuch mitnehmen und im Meer schwimmen gehen – der bloße Gedanke an das Dilemma, in das er die beiden Gorillas damit stürzen würde, ließ ihn auflachen. Vermutlich würden sie sich bemüßigt fühlen, ihn mehr aus der Nähe zu bewachen, und ebenfalls ins Wasser springen.
    Er ging eine Stunde lang spazieren, dann beschloss er, ins Haus zurückzukehren. Er wollte noch genügend Zeit haben, sich einen Drink zu genehmigen oder sich etwas zu essen aus der Küche zu holen – nicht weil er Hunger hatte, sondern aus dem Wunsch heraus, bewusst etwas zu kauen, das ein Geschmacksempfinden auf seiner Zunge hinterlassen würde.
    Er lief gerade unter den gigantischen Ombú-Bäumen des Vorgartens hindurch, als er am Rand des Pools einen Schatten zu sehen glaubte. Ohne sich ganz sicher zu sein, versteckte er sich hinter einem Baumstamm und spähte. Da war tatsächlich ein Mensch, eine Silhouette in einem Hausmantel, die das Licht des Mondes silbern gefärbt hatte. Die Gestalt streifte den Hausmantel ab und begann ganz langsam die Stufen der breiten Marmortreppe ins Wasser hinunterzusteigen. Es war eine Frau. Eine junge, dunkelhäutige Frau mit langem, krausem Haar.
    Sein Mund wurde trocken. Es gab also doch eine Frau im Haus. Die Frau, für die der Alte einen jungen Körper wie seinen gewollt hatte.
    Er verharrte einige Minuten lang in völliger Bewegungslosigkeit zwischen den Schatten und beobachtete verwirrt, wie sie im Wasser spielte – voller Unschuld und so natürlich wie ein Meereswesen. Er wünschte, sie würde bald aufhören, damit er sich zeigen und mit ihr sprechen konnte, und gleichzeitig wünschte er, dass sie niemals aufhören würde, dass die Nacht nie enden würde, damit er sie immer weiter anschauen konnte, während sie herumtollte und silberne Wassertropfen aus dem Schwimmbecken versprühte.
    Dann stieg das Mädchen aus dem Wasser, mit dem Rücken zu ihm, und er ging der Begegnung entgegen, die er gleichzeitig fürchtete und herbeisehnte.
    »Bonsoir«, sagte er auf Französisch, der einzigen Fremdsprache, die er beherrschte.
    Sie drehte sich um, verwirrt und erschrocken.
    »Bonsoir, Madame«, wiederholte er und hoffte, dass seine Stimme, die rau war, weil er sie so lange nicht benutzt hatte, nicht bedrohlich klang.
    Sie bedeckte sich überstürzt mit dem Hausmantel, und als er schon dachte, sie würde fliehen, ohne ihm zu antworten, drehte sie sich wieder zu ihm um und lächelte.
    »Wir kennen uns, erinnerst du dich nicht?«, fragte sie ihn zu seiner großen Überraschung, ebenfalls auf Französisch. »Wir kennen uns aus dem Sanatorium. Ich war im gleichen Wartesaal, als du … als sie dich holten. Erinnerst du dich jetzt?«
    »Du hast mich mit dem Kreuz gesegnet, als ich ging, richtig?«
    Sie nickte.
    »Ich hätte gerne dasselbe für dich getan«, sagte er unbehaglich. »Aber ich dachte in dem Moment nicht daran. Was tust du hier?«
    »Das Gleiche wie du.«
    Die Schatten der Leibwächter traten unter den Bäumen hervor ins Licht, unentschlossen.
    »Komm, setzen wir uns hierhin«, schlug er vor und zeigte auf die weißen Liegestühle unter der von Bougainvilleas bedeckten Pergola. »Dies ist das erste Mal seit zwei Monaten, dass ich mit jemandem spreche.«
    »Ich auch«, lächelte sie und streckte ihm die Hand hin.
    Ihre Berührung war wie eine elektrische Entladung. Bis zu diesem Moment war ihm nicht bewusst gewesen, wie dringend er es gebraucht hatte, einen anderen Menschen zu berühren – von einem anderen Menschen berührt zu werden.
    »Darf ich dich umarmen? Bitte.«
    Sie signalisierte wortlos ihr Einverständnis, und eine Weile umarmten sie sich schweigend, völlig konzentriert auf das unglaubliche Gefühl, einen anderen Körper warm und lebendig am eigenen zu spüren. Ihr Kopf reichte ihm kaum bis an die Schulter, ihr Körper fühlte sich unglaublich zart und zerbrechlich an – und war doch ein Anker, der ihn in der Wirklichkeit festhielt.
    »Das habe ich dringend gebraucht«, sagte er leise und lockerte die Umarmung, ohne sie jedoch ganz lösen zu wollen.
    »Ich auch«, flüsterte sie.
    »Komm. Setz

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