Eine Trillion Euro
ein weiteres Kanapee in den Mund und dachte darüber nach, wie es wohl sein würde, sich als Herr eines neuen Körpers zu fühlen. Wie das Gefühl, in einem fabrikneuen Ferrari zu sitzen, wahrscheinlich. Vielleicht besser.
Wie immer erwachte er in einem silberfarbenen Halbdunkel, umgeben von so tiefer Stille, dass er das Meer und das Zischen der Palmblätter in der nächtlichen Brise deutlich hören konnte. Er dehnte all seine Muskeln und räkelte sich im Bett, um das neue, aufregende Gefühl der Seidenbetttücher auf seiner nackten Haut auszukosten. Wie schon so häufig wunderte er sich, dass ein alter Mann, der einen, neuen, jungen Körper hatte haben wollen, Nacht um Nacht ohne eine Frau schlief: Das Bett war immer leer, wenn er aufwachte. Falls es eine Frau im Haus gab, schlief sie offenbar in einem anderen Zimmer – vielleicht just damit er sie nicht sah.
Er stand leise auf und lief zum Bücherschrank, wo ein Kalender hing. Zwanzig Schritte brauchte er, um das Zimmer zu durchqueren, unter den Füßen spürte er die weichen Fasern eines seidenen Teppichs, den zu knüpfen ein arabisches Mädchen vermutlich fünf oder sechs Jahre gebraucht hatte. Der Kalender zeigte den folgenden Tag an, und wie jede Nacht beruhigte ihn diese Feststellung. Trotz der Beteuerungen Doktor Mendozas plagte ihn immer noch die unbestimmte Angst, dass sein Erwachen irgendwann Lücken bekommen würde, dass es nicht mehr jede Nacht eintreten würde, wie man ihm zugesagt hatte. In seinen Albträumen sah er sich auf einen Kalender starren, von dem Wochen oder gar Monate verschwunden waren, in denen er sich seiner Existenz nicht bewusst gewesen war. Er seufzte erleichtert, schlüpfte in einen Morgenrock, der eines Königs würdig gewesen wäre, und ging die breite Treppe hinunter ins Wohnzimmer, von wo eine große Fensterfront in den Garten führte. Er hatte weder Hunger noch Durst, noch verspürte er die geringste Müdigkeit.
Langsam durchquerte er den riesigen Salon. Im Vorbeigehen hob er diverse Gegenstände von Tischen und Regalen hoch und stellte sie anschließend wieder an ihren Platz – zweifellos alles wertvolle Stücke, doch für ihn hatten sie nicht die geringste Bedeutung.
Eine Zeit lang verharrte er vor dem großen Spiegel an einer der Wände und sah sich an. Er erkannte sich, begrüßte sich, versank trunken in der Betrachtung dieses eindeutigen Beweises seiner Existenz – verlor sich in einer Angewohnheit, die zu einem Ritual seines nächtlichen Alleinseins, seines einsamen, schweigsamen Lebens geworden war.
Das Licht des Mondes fiel wie eisiges Quecksilber durch die Fenster. Es verwandelte die Welt in eine Schwarzweiß-Fotografie und ihn selbst in einen Schatten unter Schatten, in ein Negativ, das noch nicht entwickelt war, in die bloße Möglichkeit einer Existenz, die niemals Realität werden würde.
Er riss sich von seinem Anblick los und lief, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hoch in den Ankleideraum. Dort öffnete er den Schrank und zog Hosen und ein Hemd an – hochwertige Kleidungsstücke, die perfekt saßen, aber nicht seine waren, ebenso wenig wie all die wertvollen Gegenstände, das Bett, in dem er schlief und das Haus, in dem er jede Nacht erwachte wie ein Vampir ohne Durst auf Blut.
Er musste hinaus, um zu laufen, hinaus in die Welt, auch wenn die Welt nicht mehr war als der einsame Strand am Ende des riesigen Gartens und eine Hand voll menschenleerer Straßen, die von hohen Mauern und kunstvollen, schmiedeeisernen Gittern sowie von zahllosen Sicherheitskameras gesäumt waren. Er wusste, dass ihm in gewissem Abstand zwei uniformierte Männer folgen würden, sobald er sich in Bewegung setzte, aber daran hatte er sich längst gewöhnt. Auch sie waren von dem Mann, der diese Villa bewohnte, gekauft worden. Zwar auf weit weniger drastische Weise, denn immerhin konnten sie sich verabschieden, wann immer sie wollten, aber ihre Arbeit war nicht weniger fordernd. Wenn seinem Körper etwas zustieß, würden sie dafür sehr teuer bezahlen müssen.
Er steckte sich die Schlüssel, die immer an einer kleinen Silberkette auf dem Nachttisch lagen, in die Hosentasche und ging wieder hinunter, sorgfältig bemüht, keinen Lärm zu machen, obwohl er wusste – und dieses Wissen amüsierte ihn manchmal –, dass der Hausherr nicht aufwachen würde, egal wie viel Lärm er machte. Auf gewisse Weise war er selber der Hausherr, kein anderer Körper schlief in der seidenen Bettwäsche, aus der er gerade
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