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Eine unbegabte Frau

Eine unbegabte Frau

Titel: Eine unbegabte Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Burgess
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ein Jahr vorausbezahlt. Die wenigen Käsch, die sie jede Nacht durch die Maultierkarawanen entnahmen, reichten für den Augenblick, doch sie konnten nichts zurücklegen. Aber — die Mission war gegründet und an der Arbeit; Gladys würde sie nur unter äußerstem Zwang im Stich lassen. Mit der chinesischen Sprache ging es täglich besser, den Dialekt von Yang Cheng sprach sie schon fast fließend. Allerdings hatte jede Provinz ihre eigene Sprache, so daß Chinesen, die kaum vierzig Kilometer voneinander entfernt in den Bergen wohnten, sich oft nicht mehr verständigen konnten. Sie kamen selten aus dem Dorf heraus, in dem sie geboren waren, und kannten nur die eigene Mundart und die eigenen Sitten. In späteren Jahren beherrschte Gladys fünf Dialekte ihrer Provinz.
    Bald nachdem sie Frau Lawson zur Ruhe gebettet hatten, kam Chang eine Idee. Der Mandarin! Gladys Aylward mußte dem Mandarin von Yang Cheng ihre Aufwartung machen.
    »Aber warum denn?« fragte sie. »Der Mandarin hat kein Interesse an uns, und ich selbst bin auch nicht darauf aus, ihn kennenzulernen.«
    Ihr war zu dieser Zeit noch nichts von dem komplizierten System der Steuern bekannt, der Genehmigungen und Verwaltungsvorschriften, auf denen die Finanzen der Provinz beruhten. Hanna hatte ihr bisher diese Dinge abgenommen; alle offiziellen Pflichten hatte die alte Missionarin selbst erledigt.
    »Ihre Trauertage sind nun vorbei«, drängte Chang. »Es ist Zeit, daß Sie Ihre besten Kleider anziehen und dem hohen Herrn einen Anstandsbesuch machen. Das gebietet die Höflichkeit. Es ist unbedingt nötig.«
    »Ich habe doch noch nie im Leben einen Mandarin gesehen!« protestierte Gladys. »Ich weiß nicht, was ich zu ihm sagen soll. Wie viele Verbeugungen verlangt er denn? Wer spricht zuerst? Das muß man vorher alles genau wissen. Also bitte - erkundige dich erst einmal, dann will ich mir‘s überlegen. Aber ein neues Kleid kann ich mir für diesen Besuch natürlich nicht leisten, das ist klar.«
    Chang schlurfte eilfertig in die Stadt, kam aber nach einer Stunde sichtlich niedergeschlagen zurück. Ganz offenbar konnte ihm niemand sagen, welche Regeln eine »fremde Teufelin« dem Mandarin gegenüber zu beachten hatte. Für jeden anderen, vom Kuli bis zum Regierungsbeamten, gab ein altehrwürdiges Protokoll genaue Vorschriften: soundso viele Verbeugungen, soundso viele Begrüßungsfloskeln. Aber diese Gladys Aylward war etwas ganz und gar Ungewöhnliches. Chang seufzte; sicher mußte man für ihren Fall erst ein Sondergesetz erlassen, vorher konnte sie wohl kaum erwarten, zur Audienz beim Mandarin vorgelassen zu werden. Chang fand das recht mißlich; vorerst also hatte sie das bedauernswerte und tiefstehende Geschöpf zu bleiben, das sie war: eine Frau.
    Der Mandarin von Yang Cheng war ein mächtiger Mann. Die Hauptstadt der gebirgigen Südprovinz Schansi war Tsechow. Vier kleinere Schwesternstädte lagen, jede mehrere Tagereisen entfernt, im Kreise um sie verteilt: Yang Cheng, Shin-Schui, Kao-ping und Lingchuang, kleine, mauerbewehrte Zitadellen im Hochgebirge. Yang Cheng lag tief in den Bergen, Nachrichten erreichten die Stadt nicht schneller, als ein Mensch lief. Hier regierte der Mandarin über Stadt und Distrikt im Namen des Gouverneurs von Taijüan, der weit im Norden gelegenen Hauptstadt von Schansi. Er war absoluter Herr und hatte Anspruch auf Huldigung. In seinen Händen lagen Freiheit und Gefangenschaft, Leben und Tod aller seiner Untertanen.
    Daß dieser hohe Würdenträger es war, der sich zu ihr, der »fremden Teufelin«, bemühte, das war nun im höchsten Grade überraschend.
    Eine Unruhe im Hof ließ Gladys, die gerade in einem der oberen Zimmer arbeitete, auf den Balkon hinaustreten. Als sie sich über die Balustrade lehnte, sah sie den alten Chang, eilig mit den Armen rudernd, zum Eingangstor laufen. Dort drehte er sich aufgeregt um und rief zu ihr hinauf:
    »Der Mandarin kommt! Der Mandarin kommt!« Seine Stimme überschlug sich. Als letztes sah sie noch seinen Zopf um die Ecke verschwinden und dann drei Stunden nichts mehr von Herrn Chang. Der Gute hatte zwar immer wieder unerschrocken darauf gedrängt, daß sie den Mandarin besuchen solle; aber als er dem hochmögenden Gewaltigen nun persönlich im Hof der bescheidenen Hütte der »Acht Glückseligkeiten« begegnete, war es mit seinem Mut restlos aus.
    Gladys schob schnell ihren Haarknoten zurecht und strich an ihrer im Augenblick nicht gerade sehr sauberen losen Chinajacke hinunter in

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