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Eine unbegabte Frau

Eine unbegabte Frau

Titel: Eine unbegabte Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Burgess
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Japaner konspiriert habe. Beide weigerten sich, ihn zu beschuldigen. Beide wurden getötet. Es waren einfache Leute; sie konnten nicht fassen, daß sie gefoltert wurden, um eine Unwahrheit zu gestehen, von der die Japaner wußten, daß es eine Unwahrheit sei. Sie starben im christlichen Glauben. Gegen Davis hatten die Japaner keinen Grund zum Verdacht, aber er war Europäer, und er war Christ, und beiden mißtrauten sie. Warum war er nach seiner Reise an die Küste zur Mission zurückgekehrt? Warum hatte er chinesischen Soldaten erlaubt, das Missionsgelände zu betreten? Warum hatte er für die Nationalisten Spionage getrieben? Warum? Warum? Warum? Tag und Nacht wurde er gezwungen, vor einer leeren Wand zu knien, und wenn er einschlief, wurde er jede Stunde durch Schläge geweckt. Drei Monate hielten diese Mißhandlungen an — sie beeinflußten nicht im geringsten seine Geisteskraft oder seinen festen Willen. Über Gladys waren sie genau informiert, aber sie war nicht in Reichweite. Sie hatten einen Brief gefunden, der von einem gewissen Herrn White vom »Times«-Magazin an sie gerichtet war; dieser Journalist hatte vor vielen Monaten den Gelben Fluß überquert und war auf der Suche nach interessantem Material nach Schansi heraufgekommen. Da er die Sprache kaum kannte und außerdem den Nationalisten verdächtig war, schickte man ihn schließlich zu Gladys. Er fragte sie aus, wer hier wen bekämpfte, was sonst Besonderes geschehen sei, ob die Japaner wirklich Grausamkeiten begingen. Gladys war ihm behilflich, so gut sie konnte. Ein paar Monate später schrieb er ihr einen Brief aus Chungking, in dem er ihr unter anderem dafür dankte, daß sie ihm authentische Einzelheiten über die japanischen Grausamkeiten vermittelt habe. Den Brief hatte er nach Tsechow adressiert. Er ahnte nicht, daß der Inhalt einem Todesurteil gleichkam. Gladys war, als der Brief eintraf, gerade bei einer kleinen christlichen Gemeinde außerhalb der Stadt, Davis auf der Reise nach Chifu. Der Brief wurde auf Davis’ Schreibtisch gelegt und war dann wohl beim Staubwischen zwischen Schreibtisch und Wand gefallen. Weder Gladys noch David hatten ihn bemerkt, als sie später alle persönlichen Papiere vernichteten. Diesen Fehler machten die Japaner nicht, als sie das letztemal die Mission durchsuchten. Kaum hatten sie ihn Davis vor die Nase gehalten, so erkannte er, daß der Brief Gladys den Tod bringen würde, wenn sie sie je fingen. Er erklärte, daß er weder von einem Herrn White noch von diesem Brief etwas wisse — was der Wahrheit entsprach, denn als der Besuch stattfand, war er über tausend Kilometer entfernt an der Küste. Aber die Japaner wollten keine seiner Unschuldsbeteuerungen hören. Der Brief sei nur ein weiterer Beweis seiner Schuld, versicherten sie. Nach dreimonatigem, qualvollem Verhör wurde er in ein chinesisches Gefängnis bei Taijüan überführt.
    Dort wurde der Versuch fortgesetzt, ihn durch unmenschliche Behandlung mürbe zu machen. Mit zwanzig anderen Gefangenen wurde er in einen Stahlkäfig von etwa zwei Metern im Quadrat gesperrt, der einen Betonboden und eine Betonwand hatte. Hier waren sie zu einer heißen, stinkenden Masse zusammengepfercht ohne auch nur die primitivsten hygienischen Einrichtungen. Tag und Nacht blendete eine elektrische Birne auf sie herab. Bei Tagesanbruch — sie erkannten den neuen Tag daran, daß der Posten ihnen einen Befehl zurief: »Knien!« — mußten sie mit dem Gesicht zur Wand niederknien und in dieser Lage stundenlang verharren; sowie sie sich rührten oder ein Wort sprachen, wurden sie barbarisch geschlagen. Dann kam der Befehl: »Aufstehen!« Mit gebeugten Köpfen, denn die Zelle war zu niedrig, als daß ein Mensch darin hätte stehen können, hatten sie unbeweglich geduckt dazustehen. Abends kam der nächste Befehl: »Hinlegen!«, und enggedrängt, zum Teil mehr aufeinander als nebeneinander liegend, brachten sie die Nacht zu. Jeden zweiten oder dritten Tag wurden Schüsseln mit Kiolinang oder Mais und etwas Wasser hereingegeben, die Gefangenen stopften die Nahrung mit den Fingern in den Mund. In Abständen von einigen Tagen wurde Davis regelmäßig zum Verhör geführt. Man versprach ihm ab sofort bessere Behandlung und Unterbringung, falls er gestehen würde. Er weigerte sich. Er wußte, daß sie versuchten, ihn zum Irrsinn zu treiben, und er wußte auch, daß sie ihn, solange seine geistigen Kräfte standhielten, nicht zwingen konnten. Denn selbst im tiefsten körperlichen

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